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Schule macht Spaß – sie darf aber auch mal weh tun

Kultusminister Christian Piwarz war am Donnerstag mit Lehrern und Schülern der Ernst-Rietschel-Oberschule Pulsnitz im Gespräch. Natürlich auch wegen Linda W.

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© Frank Sühnel

Von Frank Sühnel & Frank Oehl

Pulsnitz. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) war jetzt zwei Tage in der Region unterwegs, um mit Erziehern, Lehrern, Schülern und Eltern im Gespräch zu sein. In aller Offenheit wurde über die drängenden Probleme diskutiert – sowie es seit dem Wechsel an der Spitze der sächsischen Regierungskoalition im Dezember 2017 angesagt ist. Piwarz war auch in der Ernst-Rietschel-Oberschule Pulsnitz, die in den letzten reichlich zwei Jahren unfreiwillig Berühmtheit erlangt hatte, weil hier eine 15-Jährige zur Schule ging, die sich dem IS im Irak angeschlossen hatte.

Zum Ende der gut zweieinhalbstündigen Visite des Kultusministers Christian Piwarz (CDU) sagte Schulleiter Axel Thiele: „Schule muss Spaß machen, aber auch weh tun“. Diesen Satz konnte der Minister getrost unterschreiben, denn er hatte sichtlich Spaß, vor allem beim Gespräch mit den Schülern, doch ebenso sicherlich Schmerzen bei den kritischen Fragen von Elternvertretern, Lehrern und Schülern. Minister Piwarz wich nicht aus, auch wenn es darum ging, Fehler einzugestehen. Da wurde nicht durch die Blumen gesprochen, die auf dem Tisch standen.

Hoher Lehreralter-Durchschnitt

Die erste Runde mit dem Minister bildeten die Schulleitung, Bürgermeisterin Barbara Lüke, der Schulamtsleiter des Landkreises und weitere Amtsträger. Was drückt an der Pulsnitzer Oberschule, wollte der Minister wissen. Zunächst konnte deren Schulleiter sagen, dass es gut läuft, dem folgte jedoch ein Aber. „Wir sind restlos voll, haben keine freie Kapazität mehr, personell wie räumlich, wenn es den Sportunterricht nicht gäbe, bei dem die Klassen nicht im Haus sind, ginge es gar nicht“, so Thiele. Und er gab zu bedenken: Der Altersdurchschnitt der Lehrerschaft sei jenseits der 50 Jahre. „Eine Kollegien ist schwanger, das ist inzwischen was ganz Seltenes. Ich habe lange gesucht, bis ich die Formulare fand, die ich dazu ausfüllen musste“, sagte er mit verschmitztem Lächeln. Axel Thiele nannte ein weiteres Problem, was der Schule auf den Nägeln brenne: die Schulsozialarbeit. Durch ein neues Gesetz muss an der Schule eine volle Stelle besetzt sein, 40 Stunden. Das werde nun durch zwei Sozialarbeiterinnen in Teilzeit abgedeckt, die aber beide am Dienstag nicht da seien. Außerdem wäre es besser, wenn auch ein männlicher Sozialarbeiter dabei wäre, weil sich gerade Mädchen in dem kritischen Alter gegenüber Frauen manchmal halt verschlossen zeigten. Noch viele Fragen wurden aufgeworfen – zum Beispiel, ob es nicht besser wäre, für die wirtschaftlichen Belange der Schulen eine kaufmännische Leitung zu haben, sodass die Schulleiter sich aufs Pädagogische konzentrieren könnten? Oder, ob für die Computerausbildung, die eh der Zeit hinterher hinke, überhaupt genügend Fachleute vorhanden sind?

Mit ganz anderen Fragen warteten die Schüler auf, die erst einmal ihre Schüchternheit überwinden mussten. Ein Thema war natürlich die ehemalige Schülerin der Pulsnitzer Schule, die nun im Irak eine fünfjährige Gefängnisstrafe angetreten hat. Mehr wusste Piwarz zum Fall Linda W: auch nicht zu sagen, da dies ja zu einer Bundesangelegenheit geworden sei. Entscheidend werde die Resozialisierung sein, wenn die junge Frau wieder in Deutschland zurück sei, so der Minister. Da kam die Diskussion auch auf Flüchtlingskinder und ob Pulsnitz davon betroffen sein kann. Die Antwort war ja, wenn eben Geflüchtete nach Pulsnitz kämen. Bisher ist die Rietschelschule in Pulsnitz eine der wenigen, in denen keine Kinder von nach 2015 Geflüchteten lernen.

Die Ereignisse in Chemnitz kamen zur Sprache und damit ein dem Minister wichtiges Thema. Er ermahnte die Jugendlichen, alle Nachrichten auf Seriosität zu prüfen, nicht alles zu glauben, was in den sozialen Medien auftauche. Zu den Demonstrationen sagte Piwarz, dass es unser Recht sei, auf die Straße zu gehen, seine Meinung zu äußern, aber, wenn die Grenzen des Gesetzes überschritten würden, „Entschuldigung – dann ist Schluss!“. Das beeindruckte die Schüler schon, denn da wurde der Minister sehr entschieden.

Die Entwicklung verschlafen

Die dritte Runde war die mit den Elternvertretern und die wollten wissen, warum die Personalplanung so daneben gegangen ist. „Es kann doch nicht schwer sein zu sagen, in sechs sieben Jahren haben wir den und den Bedarf an Lehrern. Oder auch: In so und so viel Jahren gehen so und so viele in Rente. Warum war das nicht möglich?“, fragte Mireille Großmann. Piwarz gestand für die Regierung ein, genau dies verschlafen zu haben – auch, weil man letztendlich nicht die richtigen Prognosen zur Geburtenentwicklung zugrunde gelegt habe. „Und die Rente mit 63 hat uns da auch zwei Jahre zurückgeworfen“, erklärte er. Die Befragung ging weiter: Was mit der Verbeamtung von älteren Lehren sei, mit der Bezahlung, der Leistungsanerkennung. Auch hier sei viel Geld locker gemacht worden, so der Minister. Für die nächsten fünf Jahre stünden 1,7 Milliarden Euro für Schulen bereit, davon 420 Millionen für die Ü 42 Lehrer, die besser bezahlt werden. Die Elternvertreter forderten eine praxisnähere Ausbildung, die sich an den Erfordernissen des realen Lebens orientiere. Die Veränderung der Stundentafel- weniger Sport, Mathe, Bio, Chemie und Physik wurde kritisiert, ebenso die veralteten Lehrpläne. Da tat die Schule dann doch recht weh…