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Schreiben lernen mit allen Sinnen

Einfach drauflosschreiben oder erst die Buchstaben einzeln kennenlernen: Wie lernen die Kinder im Kreis Bautzen?

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© Thorsten Eckert

Von Theresa Hellwig

Bautzen. Ist es okay, wenn Erstklässler Texte schreiben, die vor Fehlern strotzen – und diese nicht korrigiert werden? Wenn sie Sätze schreiben, in denen vom „Fataa“ die Rede ist, statt dem „Vater“? Vom „Tüsch“ statt vom „Tisch“ und vom „Eima“ statt dem „Eimer“? Eine Studie aus Bonn hat die bunten Stifte und Papierschnipsel in den Grundschulen aufgewirbelt, sie wird heiß diskutiert. Laut den Ergebnissen lernen Kinder Rechtschreibung deutlich besser, wenn sie mit der Fibel lernen – und nicht mit alternativen Ansätzen wie „Lesen durch Schreiben“ oder „Rechtschreibwerkstatt“. Wie aber lernen die Kinder im Landkreis Bautzen das Lesen und Schreiben?

Gespräche mit den Grundschulen ergeben ein ziemlich einheitliches Bild. „Wir benutzen die Fibel“, erklärt beispielsweise Uwe Barkow, Schulleiter der Grundschule Goldbach in Bischofswerda. „Wir lehren mit der Fibel“, heißt es an der Grundschule Ullersdorf. „Fibel“ ist auch die Antwort an der Friedrich-Schiller-Grundschule Cunewalde, ähnlich antworten die meisten Schulen. Oftmals fällt der Name „Volk und Wissen“; viele Schulen verwenden diese eine der vielen Fibeln, die es gibt.

Alexandra Baumgärtel schlägt die Fibel auf, die vor ihr auf dem Schreibtisch liegt. Auch an ihrer Schule kommt sie zum Einsatz. Die Schulleiterin der Grundschule im Radeberger Ortsteil Liegau-Augustusbad nimmt ein eingeschweißtes Blatt aus dem Buch. Ganz unten in der Ecke grinst ein Affe, darüber sind ein großes und ein kleines „A“ geschrieben. Ein Esel und eine Ente stehen daneben, unter dem großen und dem kleinen „E“. „Anlauttabelle“ steht darunter. Die Kinder lernen hier nach dem analytisch-synthetischen Ansatz, bei dem mit der Fibel aus einzelnen Buchstaben und Silben Wörter zusammengefügt werden. Es kommt aber auch die Anlauttabelle zum Einsatz, die ursprünglich aus der Methode des Pädagogen Jürgen Reichen stammt.

Kinder vergleichen Bilder, Buchstaben und Laute

Reichen begründete einst das „Lesen durch Schreiben“, das auch als „Schreiben nach Gehör“ bekannt ist. Die Kinder vergleichen Bilder, Buchstaben und Laute und erlernen so das Formen von Wörtern. Direkt von Beginn an können sie so kleine Texte schreiben. In der Reinform dieser Methode werden Fehler am Anfang nicht korrigiert. Dass dies überholt ist, da sind sich mittlerweile die meisten einig. Nur noch wenige Schulen praktizieren das in Reinform, auch der sächsische Lehrerverband steht zur analytisch-synthetischen Leselernmethode.

Alexandra Baumgärtel nahm einst selbst an einer Fortbildung von Jürgen Reichen teil und probierte die Methode „Lesen durch Schreiben“ aus. Schnell merkte sie: Leistungsschwache Schüler kommen mit der Tabelle nicht klar. Wer starken Dialekt spricht, hat Probleme, die richtigen Buchstaben zu den Lauten zu finden. Und Fehler, die eingeprägt sind, bleiben im Kopf. Dennoch motiviert die Methode leistungsstarke Kinder, wenn sie schon früh eigene Texte schreiben können.

Die Anlauttabelle für die Buchstaben liegt der Fibel des Volk und Wissen-Verlags bei, in dem Buch werden beide Methoden kombiniert.Der Gedanke dahinter: „Wenn Kinder mit allen Sinnen lernen, behalten sie am meisten im Kopf“, erklärt Baumgärtel. Das Lehrbuch sieht Aufgaben für Kinder vor, die schneller lernen, und für solche, die dafür ein bisschen mehr Zeit benötigen. Wer mit der Anlauttabelle gut lernen kann, kann von Anfang an schreiben – ohne gehemmt zu werden. Dennoch lernen die Kinder nach und nach neue Buchstaben und Silben. Sie dürfen sie mit einem Faden auf den Tisch legen und sich gegenseitig auf den Rücken malen. Und sie dürfen sie mit Gebärden nachempfinden.

Unterricht muss in Bewegung sein

Auch in der Frédéric-Joliot-Curie-Grundschule Bautzen kommen Gebärden zum Einsatz. „Unterricht muss in Bewegung sein“, ist Schulleiterin Heidi Schönwälder sicher. Dennoch sei die reine Methodik „Lesen durch Schreiben“ mit der Anlauttabelle nichts für ihre Schule. Dort gebe es einen Migrationsanteil von etwa 30 Prozent. Einige Kinder verbinden deshalb andere Laute mit dem Bild einer Ameise oder eines Esels als ihre Klassenkameraden.

Die Gebärden, die in den Unterricht eingebaut werden, sind etwas Besonderes. Dass jedoch verschiedene Methoden verbunden werden, ist typisch für viele Schulen in Sachsen und auch im Landkreis Bautzen. Das bestätigt auch das Sächsische Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB). Genaue Zahlen gibt es nicht; die Schulen können für sich entscheiden, welche Methode sie für geeignet halten. Dennoch wurde die Debatte schon einmal zum Politikum; bereits vor einem Jahr brachten CDU- und die SPD-Fraktion im Landtag einen Antrag ein, der die Lehre der Rechtschreibung an Grundschulen untersuchen sollte. Einige Politiker fordern ein Verbot der Methode „Schreiben nach Gehör“. Andere Bundesländehaben das bereits durchgesetzt.

Kreis Bautzen scheint die analytisch-synthetische Leselernmethode ohnehin zu dominieren, wenn auch mit Einflüssen anderer Ansätze. Bei Baumgärtel heißt das, dass Fehler von Anfang an korrigiert werden. Damit es eben doch der „Vati“ ist, der abends den Aufkleber unter dem Aufsatz bewundert – und nicht der „Fati“.