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Schrebergärtner findet alten Grabstein unterm Unkraut

Die Schrift ist kaum noch zu lesen. Was man erkennt, lässt auf ein großes Leid schließen.

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© Andreas Weihs

Von Annett Heyse

Freital. Wolfgang Schmidt geht auf die Knie und wischt mit der Hand über eine Platte. Bei genauem Hinsehen sind einige der eingravierten Buchstaben und Zahlen zu erahnen, lesbar sind sie kaum noch. Nur ein Kreuz am Kopf der Platte ist deutlich zu erkennen. Schmidt nimmt vom nahe gelegenen Beet eine Handvoll Erde, wirft sie auf den Grabstein und verteilt sie vorsichtig. Der Dreck bleibt in den Ritzen hängen. Langsam schälen sich Vornamen, Familiennamen und Lebensdaten heraus. „Ein Grabstein“, sagt Schmidt und zieht mit dem Finger ein F, ein R, ein I, ein T und ein Z nach. Fritz. Geboren 1896, gestorben 1918.

Der Grabstein befindet sich in einem Schrebergarten des Vereins „Weißeritztalblick“ an der Wilsdruffer Straße. Lange lag die Scholle brach und war verwildert, bis Schmidts Bekannter David Becker-Hinz den Garten pachtete. Das war im Frühjahr dieses Jahres. Die Familie krempelte die Ärmel hoch, entfernte Unkraut, legte Wiese, Wege und Beete neu an. Wolfgang Schmidt half dabei. Bei einem Arbeitseinsatz stieß er auf den Grabstein. Die Platte lag unscheinbar neben der Laube, als eine Art Trittstein möglicherweise. Sie war teils von Erde überspült und zugewachsen. Keiner dachte sich zunächst etwas dabei. „Wir räumten auf, legten den Stein frei und entdeckten das Kreuz darauf“, berichtet Wolfgang Schmidt.

Der Stein, gut einen Meter lang, gehörte zum Grab einer Familie Winkler. Entzifferbar sind ein Fritz Winkler, der von 1865 bis 1918 lebte. Im selben Jahr starb der 1896 geborene Fritz im Alter von 22 Jahren. Waren es Vater und Sohn? Ließen sie gar ihr Leben im Ersten Weltkrieg? Bereits zuvor war eine Trudel Winkler gestorben, sie lebte von 1895 bis 1906 und wurde nur elf Jahre alt – möglicherweise war sie die Schwester des jüngeren Fritz. Wolfgang Schmidt starrt auf den Grabstein. Was geht ihm durch den Kopf? „Ich frage mich, warum die Platte hier liegt.“

Darüber kann man nur spekulieren. Die Gartensparte zieht sich bis nahe des Döhlener Friedhofs hin. Zudem liegt gegenüber der Schrebergartenanlage an der Wilsdruffer Straße der Potschappler Friedhof. Wurden in einer der beiden Anlagen irgendwann mal Gräber eingeebnet und die Steine weggeworfen? Holte sich einer der Vorgänger des jetzigen Pächters die Grabplatte als Baumaterial? Oder hatte er persönliche Beziehungen zur Familie Winkler, und ist der Stein damit eine Erinnerung?

Wolfgang Schmidt reizt die Beantwortung dieser Fragen. „Man müsste in den Kirchenbüchern nachschauen“, sagt er. Im Internet hat er schon mal den Namen eingegeben und stieß auf einen Fritz Winkler, der als Maler in Dresden lebte. Er wurde 1894 geboren und starb 1965. War er mit der Familie aus Döhlen oder Potschappel verwandt? Stammt der Grabstein überhaupt von einem der beiden Friedhöfe?

Wolfgang Schmidt schüttelt sich, greift zum Besen und fegt die Erde vom Grabstein. Vielleicht, so hofft er, wissen ja die Leser der Sächsischen Zeitung etwas über die Winklers. Vielleicht leben auch noch Nachfahren in Freital. Und vielleicht lässt sich aufklären, warum jemand einen Grabstein als Trittplatte oder Erinnerung im Schrebergarten einbaute.

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