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NSU-Prozess wird immer teurer

Seit 6. Mai 2013 muss sich Beate Zschäpe vor Gericht verantworten. Die Prozesskosten belaufen sich schon auf 50 Millionen Euro. Und ein Ende des Verfahrens ist nicht in Sicht.

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© dpa

Von Frank Jansen

Am vergangenen Sonnabend waren im NSU-Prozess vier Jahre absolviert – und niemand wagt zu prophezeien, wann die Hauptverhandlung am Oberlandesgericht München ein Ende finden wird. Bei den Prozessparteien ist nur vage von „wohl noch in diesem Jahr“ die Rede. Der sechste Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl hat allerdings vorsorglich Termine bis Januar 2018 benannt.

Hartnäckig ringen Verteidiger, Bundesanwaltschaft und Nebenklage-Anwälte um ihre Positionen. Es ist ihr gutes Recht, aber auch für alle Beteiligten eine Tortur. Vor allem für die Angehörigen der zehn Mordopfer des NSU und für die Überlebenden der beiden Sprengstoffanschläge in Köln und der 15 Raubüberfälle auf Filialen der Sparkasse, der Post und auf einen Supermarkt.

In 361 Verhandlungstagen wurden mehr als 500 Zeugen gehört und Dutzende Sachverständige. Die Verteidiger von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben stellten mehr als 20 Befangenheitsanträge gegen Götzl und weitere Richter. Die Opfer-Anwälte stellten viele Beweisanträge, eine genaue Zahl ist nicht bekannt. Den Steuerzahler kostete der Prozess bislang schätzungsweise mehr als 50 Millionen Euro. Und er wird noch teurer. In der Beweisaufnahme tut sich allerdings schon seit Monaten nicht mehr viel. Alle Verbrechen der Terrorzelle, die in der Anklage der Bundesanwaltschaft genannt werden, waren bereits ausführlich Thema. Aktuell stehen die Gefechte im Vordergrund, die vor allem die Anwälte Zschäpes und die Hauptangeklagte selbst führen – mit den Richtern, aber auch untereinander.

Richter Götzl versucht nun zum zweiten Mal, die Beweisaufnahme trotz aller Manöver zu einem Ende zu bringen. Vergangene Woche hat er mit dem 17. Mai wieder eine Frist für neue Beweisanträge gesetzt. Mit seiner ersten Fristsetzung Anfang März kam Götzl allerdings nicht durch. Die Verteidiger von Zschäpe und Wohlleben deckten die Richter mit Befangenheitsanträgen ein. Der von Götzl genannte 14. März verstrich.

Beate Zschäpe (42) hat alles versucht, um einem harten Urteil zu entgehen. Erst schwieg sie jahrelang hartnäckig, dann ließ Zschäpe über ihre neuen Anwälte eine Einlassung und Antworten auf Fragen der Richter vortragen. Der Tenor lautete: Ich wollte die Morde und Sprengstoffanschläge nicht, aber ich konnte mich von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nicht trennen. Die Raubüberfälle hatte Zschäpe gebilligt, da die drei von dem Geld leben mussten. Und aus Anhänglichkeit zu den beiden Uwes will Zschäpe nach deren Selbstmord die gemeinsame Wohnung in Zwickau angezündet und auf der Flucht die 15 Exemplare der Bekenner-DVD des NSU verschickt haben.

Die Selbststilisierung zur emotional abhängigen Statistin, die sich vor allem von ihrem Freund Böhnhardt trotz seiner Brutalität nicht lösen konnte, hat Zschäpe jetzt noch gesteigert. Dem Freiburger Psychiatrieprofessor Joachim Bauer erzählte sie von Februar bis April bei sieben Treffen dramatische Geschichten, die der Mediziner als Beleg für eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit Zschäpes im Untergrund wertet. Dass Götzl und seine Kollegen die Rolle der Gefährtin von Böhnhardt und Mundlos ähnlich werten wie Bauer, ist wenig wahrscheinlich. Der Strafsenat hatte die Anklage der Bundesanwaltschaft unverändert zugelassen und in den vier Jahren Prozess nie angedeutet, an den Vorwürfen zu zweifeln. Zeugen haben zudem Zschäpe ein selbstbewusstes Auftreten bescheinigt. Das Verhältnis zu den beiden Uwes galt als harmonisch. Außerdem hat die angeblich zerbrechliche Angeklagte ihre drei ersten Anwälte, Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, rabiat verstoßen. Eine Verurteilung Zschäpes als Mitglied des NSU und Mittäterin bei allen Straftaten ist eher zu erwarten als ein Richterspruch, in dem der Angeklagten mildernde Umstände zugebilligt werden. Bei einem Urteil im Sinne der Anklage wäre die logische Strafe lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld. Zschäpe, die seit November 2011 in Untersuchungshaft sitzt, müsste dann womöglich mehr als 20 Jahre hinter Gittern verbringen. Der vom Gericht bestellte Psychiater Henning Saß deutete gar die Notwendigkeit von Sicherungsverwahrung für die Zeit nach der Haft an.

Nahezu unvermeidbar erscheint eine harte Strafe für Ralf Wohlleben, ehemals Vizechef der NPD in Thüringen. Der 42 Jahre alte bekennende Rechtsextremist hat mutmaßlich die Beschaffung der Pistole Ceska 83 samt Schalldämpfer und Munition organisiert, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Anträge der ebenfalls rechten Verteidiger Wohllebens, ihn aus der Haft zu entlassen, lehnte der Strafsenat ab.

Auf freiem Fuß und in einem Zeugenschutzprogramm des BKA befindet sich Carsten S. (37), der nach eigenen Angaben die Ceska 83 nach Chemnitz zu Böhnhardt und Mundlos gebracht hat. Carsten S. hat vom fünften Prozesstag an umfangreich ausgesagt und Wohlleben massiv belastet. Das detailreiche Geständnis bewahrt Carsten S. vermutlich vor einer harten Strafe, obwohl er sich wie Wohlleben wegen Beihilfe zu neunfachem Mord verantworten muss.

Die Angeklagten Holger G. (42) und André E. (37), beide auf freiem Fuß, hatten bis zuletzt Kontakt zur Terrorzelle. Holger G. gab zu Beginn des Prozesses zu, den Untergetauchten mit einem manipulierten Reisepass für Böhnhardt und weiteren Dokumenten geholfen zu haben. Eine Haftstrafe wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erscheint naheliegend. Ebenso sieht es bei André E. aus. Der bis zu Hals und Fingerknochen tätowierte Angeklagte war mutmaßlich mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe befreundet. Laut Anklage mietete André E. Wohnmobile für Mundlos und Böhnhardt. André E. soll auch mit einer Bahncard geholfen und sich daran beteiligt haben, die Identität der drei Gesuchten zu verschleiern. Der Angeklagte sagt allerdings kein Wort. Dennoch ist aufgrund von Zeugenaussagen und Indizien eine Strafe wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung wahrscheinlich.