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Schon mal über Geld nachgedacht?

Die Finanzwelt wirkt oft komplex, das nimmt man hin. Hinterfragt wird sie kaum. Dabei arbeitet sie doch auch mit Ihrem Geld. Ein lärmender Weckruf.

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Von Fred Krahwinkel und Ulrich Wolf

Wir alle benutzen es täglich. Arbeiten hart dafür. Wir geben es aus und glauben, davon meist zu wenig zu haben: Geld. Es ist der Treibstoff unseres Lebens. Doch woher kommt es? Wohin geht es?

Das interessiert nicht sonderlich. Die Finanzwelt erscheint wie eine komplexe Geheimwissenschaft, der man mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Verständnislosigkeit begegnet. Es ist nun mal weitaus schöner, zum Italiener essen zu gehen, als sich nach Feierabend die Grenzen des eigenen Budgets vor Augen zu führen.

Nach einem repräsentativen Test der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit scheitert gut ein Drittel der deutschen Erwachsenen an der simplen Aufgabe, zwei Prozent Zinsen von 100 Euro zu errechnen. Trotzdem nehmen die Deutschen Kredite auf, kaufen Häuser, schließen Versicherungen ab. Sie unterschreiben Finanzverträge, die mitunter Jahrzehnte gültig sind, nach nur zehn Minuten; beim Kauf einer Waschmaschine hingegen wird mitunter wochenlang abgewogen, ehe die Entscheidung fällt. In Geldangelegenheiten verlässt man sich nicht auf sich selbst, sondern auf Anlageberater oder Versicherungsvertreter. Was mit dem Ersparten geschieht, wer daran verdient und wer nicht, das interessiert nicht mehr.

Oft vertrauen die Deutschen ihre Gelddinge Menschen und Institutionen an, die das Unwissen ihrer Kunden, ihre Naivität und ihre mangelnde Fähigkeit, Risiken einzuschätzen, ausnutzen. Die Anleger verlieren dabei ihr Geld ganz oder teilweise. Das zeigt nicht nur der aktuelle Fall des Dresdner Finanzdienstleisters Infinus.

Sie meinen, solche Anlageskandale gingen Sie nichts an? Weil Sie weder naiv noch gierig sind? Falsch. Auch in Ihnen steckt ein Stück Spekulant. Auch Sie sind derzeit für Renditeversprechen jenseits der fünf Prozent verführbar und würden damit verbundene Risiken womöglich schnell verdrängen. Dass dieses Rendite-Aphrodisiakum sich so rasant verbreiten kann, das liegt am niedrigen Leitzins, zu dem die Notenbanken ihr Geld an die Geschäftsbanken verleihen. Dieser Leitzins ist seit Jahren so niedrig, dass der, der sicher anlegen will, kaum noch Zinsen bekommt. Und die, die professionell mit Geld arbeiten, können es sich so billig besorgen wie nie zuvor.

Sie beschaffen sich Buchgeld, auch Fiat-Geld genannt. Fiat ist Lateinisch und bedeutet „es werde!“ Es werde also Geld. Das geschieht weniger mit der Notenpresse als vielmehr per Computertastendruck. Inzwischen schwirren unvorstellbar große Summen rund um den Globus. Mit realen Werten wie Häusern, Maschinen und Fabriken hat dieses virtuelle Geld nicht mehr viel zu tun. Für den Schweizer Bankier Ferdinand Lips stand schon vor seinem Tod 2005 fest: „Zum ersten Mal in der Geschichte ist alles Geld der Welt von nichts mehr gedeckt.“

Sie meinen, das gehe Sie nichts an? Von all dem virtuellen Geld würden Sie nichts bemerken in Ihrem Bequemlichkeitskosmos aus Himbeereis mit Sahne? Falsch. Eine verheerende Folge der Buchgeld-Schwemme ist die Verschuldung. Wohlgemerkt: Gegen Schulden, die zur Schaffung von Werten eingegangen worden sind, hat niemand etwas einzuwenden. Sie sind essenziell für das kapitalistische System. Doch wie viel sind die 25 000 Euro Schulden wert, mit denen jedes Baby in Deutschland zur Welt kommt? Wie werden seine Schulden finanziert? Mit immer neuen virtuellen Krediten, für die wir alle immer wieder neue virtuelle Zinsen zahlen. Fast zehn Prozent des deutschen Steueraufkommens gehen für Zinszahlungen drauf; getilgt ist damit nicht einer der mittlerweile zwei Billionen Euro Staatsschulden.

In Deutschland wird es wohl noch dauern, bis Sie auf Himbeereis mit Sahne verzichten müssen. Für viele Griechen indes ist das schon Luxus. Obwohl sie doch von einem bereits erfolgten Schuldenschnitt profitieren müssten. Doch das gesparte Geld floss nicht in die Realwirtschaft Griechenlands, sondern wurde zur Tilgung weiterhin bestehender Altschulden eingesetzt: Es ging an die Banken.

Sie denken, die Griechen gingen Sie nichts an? Sie machten da höchstens Urlaub? Falsch. Abgesehen davon, dass es ein Kardinalfehler war, den Euro überstürzt einzuführen, also bevor eine langfristig stabile politische Union geschaffen worden war, sind die Griechen nur Randfiguren in einem virtuellen Monopoly namens „Rettet den Euro!“

Für den Erhalt der Gemeinschaftswährung stehen 1,5 Billionen Euro zur Verfügung. Das entspricht dem Wert von sechs Millionen Einfamilienhäusern in Deutschland. Nur: Hinter dem Geld im Euro-Rettungsschirm stehen keine Werte. Es ist reines Buchgeld, das eine virtuelle Hausapotheke finanziert, aus der Politiker ständig Milliardenpflaster nehmen. Das verbessert die Lage, aber nur kurzfristig und nur zum Schein. Der 1973 in New York gestorbene österreichische Ökonom Ludwig von Mises drückte es so aus: „Der Schaden, der durch die Anwendung solcher Mittel dem Volkswohlstand zugefügt wird, ist umso größer, je länger es gelungen ist, die Scheinblüte durch Schaffung zusätzlicher Kredite vorzutäuschen.“ Und der Ex-Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, gestand schon 1999 ein: „Weil die meisten gar nicht begreifen, was wir da beschließen, machen wir weiter, Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Sie sagen, das gehe Sie nichts an? Wenn das mit den vielen wertlosen Schulden stimmte, hätten wir doch längst eine Inflation? Falsch. Sie spüren diese Inflation zwar noch nicht, aber Sie stecken schon mittendrin. Die Inflation vollzieht sich im dunklen Untergrund des Finanzmarkts. Dort sind die virtuellen Geldströme längst über ihre Ufer getreten.

Das einzige Produkt, das Banken interessiert, ist Geld. Vor allem Ihr Geld. Das wird auf allen erdenklichen Wegen über eine schier unübersehbare Anzahl von Finanzprodukten eingesammelt. Und dann fragen sich die Banken: Wie macht man aus diesem Geld noch mehr Geld?

Zum Beispiel mit Derivaten. Dahinter verbergen sich Wetten. „Wetten“ aber klingt schlecht, also heißen die Wettscheine in der Finanzwelt Future (Zukunft), Option (Möglichkeit) oder Swap (Tausch). Meist wird auf die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis von Rohstoffen, Lebensmitteln oder Aktien gewettet. Dieser Derivatemarkt ist gigantisch: Mit umgerechnet 450 Billionen Euro im Jahr wettet die Finanzindustrie. Das ist mehr als achtmal so viel wie das weltweite Bruttoinlandsprodukt des vorigen Jahres, also der Wert sämtlicher Waren und Dienstleistungen, den alle Nationen der Welt 2013 erwirtschaftet haben.

Sie meinen, das gehe Sie nichts an? Weil Sie, anders als Uli Hoeneß, mit Zockerei nichts am Hut haben? Falsch. Auch Ihr Geld, zum Beispiel das aus Fonds, wird genutzt für Derivate, die Auslöser für so manche Hungerkrise gewesen sind und weiter sein werden. Mit Ihren Steuern wurde die Commerzbank gerettet, eine Bank, die Optionsscheine im Angebot hatte, mit denen Großinvestoren auf den Zusammenbruch eben dieser Bank wetten konnten.

Ein Wahnsinn, der um sich greift. Damit das nicht auffällt, wirft die Finanzwelt Nebelkerzen, auch sprachliche. Je fantasievoller und komplizierter die Namen klingen, umso magischer erscheinen sie uns. Hedgefonds zum Beispiel. Der erste Teil des Wortes „to hedge“ stammt aus dem Englischen und bedeutet absichern, der zweite Teil „Fonds“ ist Französisch und bedeutet Kapital. Mit abgesichertem Kapital aber haben Hedgefonds nichts zu tun: Sie sammeln Geld, zum Großteil bei Schattenbanken, die in Steueroasen ihren Sitz haben und nicht kontrolliert werden. Mit diesem Geld wetten Hedgefonds dann.

Sie denken, das gehe Sie nichts an? Mit Hedgefonds hätten Sie so viel zu tun wie mit den allgegenwärtigen Reissäcken in China? Falsch. Vielleicht sind Sie ja Mieter des größten Immobilienbesitzers in Dresden: der Gagfah. Deren Eigentümer ist die US-Finanzfirma Fortress, der erste an der New Yorker Börse gehandelte Hedgefonds.

Jene Banken, die Fortress & Co. für solche Geschäfte Kredite geben, gehen Risiken ein. Um die Risiken aus den Büchern zu verbannen, erfand die Finanzwelt versicherte Schuldscheine, die Credit Debt Obligations (CDO). Dieses Produkt muss man sich vorstellen wie einen lecker aussehenden Schokoladenkuchen, dem jedoch Gift beigemischt ist: in Form von Krediten, bei denen der Kreditnehmer seine Schulden nicht zurückzahlen kann. Diesen CDO-Schokoladenkuchen haben die Banker zerschnitten und die Tranchen dann in alle Welt verkauft.

Sie sagen, das gehe Sie nichts an? Ein CDO interessiere Sie nicht die Bohne und Schokoladenkuchen mögen Sie sowieso nicht? Falsch. Regelrecht versessen auf die Schokoschnitten war etwa die Landesbank Sachsen – und sie wurde damit quasi vergiftet. Die Entgiftungskur wird Sie und alle anderen sächsischen Steuerzahler voraussichtlich 2,75 Milliarden Euro kosten – damit könnte man die gesamten Ausgaben der sächsischen Sozialpolitik ein Jahr lang bezahlen.

Die Käufer, die den Verzehr des vergifteten Schokoladenkuchens überlebten, erwiesen sich als lernfähig. Sie entdeckten die Kreditausfallversicherung, den Credit Default Swap (CDS). Alsbald wurde auch dieses Produkt fortentwickelt und verkam zu einer Wette. Inzwischen ist es an den Finanzmärkten üblich, mit CDS etwas abzusichern, was einem gar nicht gehört. Das ist so, als würden Sie eine Feuerversicherungswette auf das Haus Ihres Nachbarn abschließen. Und sollte das tatsächlich mal brennen, verdienen Sie Geld. Inzwischen sind solche CDS für rund 22 Billionen Euro im Umlauf. Davon könnte man 110 Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland bauen.

Sie sagen, das gehe Sie nichts an? Sie könnten Credit Default Swap nicht einmal aussprechen? Falsch. Das sollten Sie lernen, zum Beispiel wenn Sie in Leipzig wohnen. Denn die dortigen Wasserwerke haben CDO/CDS für über 220 Millionen Euro abgeschlossen. Dummerweise hat das kommunale Unternehmen seine Wette verloren und muss zahlen. Sollte es der Stadt Leipzig nicht gelingen, die Wettverträge für nichtig erklären zu lassen, dürfte Leipzig als erste Großstadt Deutschlands eines Tages unter Zwangsverwaltung gestellt werden.

Virtuelle Milliardensummen ohne Wert werden inzwischen in einer Zeitspanne gehandelt, die kürzer währt als der Flügelschlag einer Fliege. Gesteuert von Computern und Softwareprogrammen.

Ein unsichtbarer Wahnsinn, den offenbar keiner zu stoppen vermag. Dass sich die internationale Politik auf einheitliche Finanzmarktgesetze einigt, ist so unwahrscheinlich wie der Versuch, eine Schnecke zum Tanzen zu bringen.

Was also tun? Es fängt bei Ihnen an. Wenn Sie über Geldreserven verfügen, überlegen Sie sich genau, wie Sie sie einsetzen. Nehmen Sie sich Zeit dafür, zumindest so viel, wie Sie für den Kauf einer Waschmaschine benötigen. Fragen Sie, was mit Ihrem Geld gemacht wird. Versuchen Sie zu verstehen, wie und auf wessen Kosten versprochene Renditen entstehen. Schämen Sie sich nicht, wenn Sie die Unterlagen zu Ihrer Anlageentscheidung nicht gleich verstehen. Fragen Sie nach! Trennen Sie sich von Ihrem Anlageberater oder Versicherungsvertreter, wenn er nicht in der Lage ist, Ihnen verständliche Antworten zu geben. Nehmen Sie sich die Zeit, Verträge auf versteckte Provisionen und Gebühren hin zu überprüfen.

Werfen Sie ruhig noch einmal einen Blick in die Mathebücher Ihrer Kinder, um etwa die Funktionsweise des Zinseszinses zu verstehen. Halten Sie sich die Risiken einer Geldanlage plastisch vor Augen: Was bedeutet es für mich, mehr als 20 Jahre lang einen Hauskredit abzustottern? Im Wort „Immobilie“ steckt nicht ohne Grund das Wörtchen „immobil“. Machen Sie sich für mehr allgemeine Finanzbildung in den Schulen stark. Schauen Sie, welche Partei sich für die Trennung des Geschäfts der Normalbanken von dem der Zockerbanken starkmacht. Vielleicht tritt dann, Schritt für Schritt, jene Prognose ein, die dem Autoindustriellen Henry Ford zugeschrieben wird: „Verstünden die Menschen unser Bankensystem, so hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.“

Unsere Autoren

Fred Krahwinkel (60) lebt als Grafiker in Überlingen am Bodensee. Er studierte Mathematik, Grafik und Malerei und unterrichtete unter anderem an der renommierten Privatschule Schloss Salem. Sein Erklärbuch „Alles klar! Geld, Cash, Crash & Co.“ ist für Jugendliche ab 15 Jahre und für Erwachsene geeignet.

Ulrich Wolf (49) arbeitet seit dem Jahr 2000 bei der SZ, zunächst als Wirtschaftsredakteur, seit gut drei Jahren als Reporter. 2004 gewann er für seinen Report über die Geschäfte der sächsischen Landesbank den Helmut-Schmidt-Preis.

Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die Sächsische Zeitung kontroverse Essays, Analysen und Interviews zu aktuellen Themen. Texte, die Denkanstöße geben, zur Diskussion anregen sollen.