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Schiffsglocke der „Dresden“ kehrt heim

91 Jahre lag die Schiffsglocke des 1915 versenkten Kreuzers „Dresden“ vor Chile auf dem Meeresgrund. Vergangenes Jahr wurde die „Stimme der Dresden“, begleitet von großem öffentlichen Interesse, von einem deutsch-chilenischen Forschungsteam geborgen.

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Von Georg Ismar

Kiel - Nun kehrte die bronzene Glocke mit der Innschrift „SMS Dresden“ fast unversehrt nach Deutschland zurück und wurde in Kiel übergeben. Die „Dresden“ hatte sich im Ersten Weltkrieg ein legendär gewordenes Katz- und Maus-Spiel mit britischen Kreuzern in Südamerika. In aussichtsloser Lage entschied sich Kapitän zur See Fritz Lüdecke schließlich, die „Dresden“ ausgerechnet vor der zu Chile gehörenden Robinson-Crusoe-Insel zu versenken. Die mehr als 300 Mann Besatzung wurden daraufhin im neutralen Chile interniert.

Die chilenische Botschafterin Marigen Hornkohl übergab die 155 Kilogramm schwere Schiffsglocke am Mittwoch als Leihgabe an den deutschen Vizeadmiral Wolfram Kühn. Nach der Konservierung, Restaurierung und Entsalzung durch das Archäologische Landesmuseum in Schleswig soll die Glocke, die von einem Reichsadler mit Anker und Eichenlaub-Umkränzung geziert wird, im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr (MHM) in Dresden ausgestellt werden.

In Zeiten, als es noch kein Radar gab, war die Schiffsglocke das entscheidende Signal, wenn Nebel über dem Meer aufzog. „Die Schiffsglocke bestimmte zudem den Rhythmus an Bord“, sagt Willi Kramer, marinearchäologischer Denkmalpfleger. Der 58-Jährige war selbst dabei, als die Glocke aus den Fluten des Pazifiks gezogen wurde. „Der Kreuzer Dresden hat das Schicksal der Stadt vorausgenommen, er ist im Ersten Weltkrieg untergegangen. Dass die Glocke zurückkommt, ist ein Zeichen der Völkerverständigung.“

Eine drehbuchreife Odyssee

Am 14. März 1915 schlug die Glocke der „Dresden“ zum letzten Mal. Das Wrack des 118 Meter langen Stahlkolosses liegt noch heute in 65 Metern Tiefe vor der Insel, auf der von 1704 bis 1709 der schottische Seemann Alexander Selkirk überlebte. Er gilt als Vorbild für Daniel Defoes Figur „Robinson Crusoe“. Die Geschichte der 1907 bei Blohm + Voss in Hamburg gebauten „Dresden“ ist eine drehbuchreife Odyssee und eine der längsten Einsatzfahrten der deutschen Kriegsmarine.

Ausgangspunkt war das Seegefecht vor der chilenischen Hafenstadt Coronel am 1. November 1914. Die Briten erlebten durch das deutsche Ostasiengeschwader, zu dem die Dresden gestoßen war, die erste Seeniederlage seit mehr als 100 Jahren, 1000 Briten starben. Am 8. Dezember 1914 kam es bei den vor Argentinien gelegenen Falklandinseln zu einem weiteren Gefecht. Die „Dresden“ entging als einziges Schiff des Geschwaders der Vernichtung durch die Briten.

Was folgte, war eine monatelange Flucht. „Die Briten wollten unbedingt die Scharte von Coronel auswetzen“, sagt der Kölner Historiker Holger M. Meding. Mit Unterstützung des deutsch- chilenischen Lotsen Albert Pagels gelang es der „Dresden“, sich in verwinkelten Kanälen Patagoniens zu verstecken und die Verfolger zu narren. Agenten versuchten den Aufenthaltsort des Kreuzers zu erfahren. „So viel Geld hat ein König von England gar nicht, um einen Pagels kaufen zu können“, soll der patriotische „Edelhelfer“ Pagels gesagt haben. Als sich der Druck erhöhte, brach der Kreuzer im März 1915 schließlich Richtung Pazifik aus.

Schiff durch Fluten selbst versenkt

650 Kilometer vor dem Festland ging die „Dresden“ bei der Crusoe-Insel, die zum Archipel Juan Fernández gehört, vor Anker. Die Mannschaft war erschöpft, die Kohlevorräte geschrumpft und die Maschinen von einer höllischen Sturmfahrt ruiniert. Per Funkspruch aus Berlin stellte es Kaiser Wilhelm II. der Mannschaft frei, sich internieren zu lassen. Die Briten nahmen die Entscheidung ab: Die Kreuzer „Kent“ und „Glasgow“ spürten die „Dresden“ auf und schossen sie sturmreif, weshalb Lüdecke die Versenkung durch Fluten befahl. „Da Chile neutral war, handelte es sich bei dem britischen Handeln um einen völkerrechtswidrigen Akt“, sagt der Historiker Meding.

Nach dem Ersten Weltkrieg kehrten die meisten Matrosen der „Dresden“ nach Deutschland zurück, einige wurden aber auch Viehzüchter und blieben in Chile. Ein besonderer Fall war Wilhelm Canaris. Der damalige Adjutant flüchtete noch 1915 aus Chile und wurde unter Hitler im Zweiten Weltkrieg Chef der deutschen Abwehr. Im Süden Chiles, wo zahlreiche Deutschstämmige und Nachfahren von „Dresden“-Matrosen leben, erinnern bis heute Gedenksteine an das Schicksal des deutschen Kreuzers. (dpa)