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Schach mit Körperkontakt

Die Rollerderby-Frauen bestreiten ihr nächstes Bundesliga-Heimspiel in einer anderen Halle, die vor allem eins ist: größer.

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© Thomas Kretschel

Von Maik Schwert

Die Nachricht kommt fast beiläufig. „Neue Location“ steht drüber. Die Pioneers, die so heißen, weil sie sich als Vorreiter ihrer Sportart in Dresden betrachten, tauschen für das nächste Bundesligaduell ihre Heimspielstätte. Die Rollerderby-Frauen wechseln aus dem Sportcenter von Motor Mickten am Pestalozziplatz in die Halle des Martin-Andersen-Nexö-Gymnasiums in der Haydnstraße. Da empfangen sie am Sonnabend die Graveyard Queens aus Köln. Der Einlass beginnt 16.30 Uhr. Die Pioneers belegen mit zwei Erfolgen aus zwei Duellen den dritten Platz. Ihre Gäste liegen nach vier Niederlagen in vier Partien auf der siebenten und letzten Position.

Für den Umzug der Pioneers gibt es einen entscheidenden Grund. Das Sportcenter des Mehrspartenvereins ist zu klein für die zwar langsam, aber stetig wachsende Besucherzahl der etwa 40 Mitglieder starken Abteilung. Aus Brandschutzgründen dürfen die Pioneers bloß 150 Besucher reinlassen. Das Interesse ist deutlich größer. „Wir konnten bereits zweimal in der Halle des Gymnasiums trainieren und spielen jetzt erstmals auch da“, sagt Kapitän Silvana Sieborn. „Wir hoffen auf viele Fans aus anderen Stadtteilen. Dort passen auf alle Fälle mehr Gäste hinein, und es gibt eine Tribüne für die Zuschauer.“

Die Saison dauert bis Dezember. Es ist die zweite der Pioneers in der Eliteklasse. Ihre Premierenspielzeit beendeten sie mit einem Sieg im Fünferfeld auf Rang vier. Dadurch landeten die Pioneers auf dem ersten Nichtabstiegsplatz und machten den Klassenerhalt perfekt. Dieses Mal kämpfen und spielen sie für ein deutlich besseres Ergebnis. Darauf bereiteten die Pioneers sich bei internationalen Wettbewerben vor, beispielsweise einem Turnier in Metz mit Klubs etwa aus Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. Da gewannen sie erst ihre Gruppe und dann auch das Finale.

Ein wichtiger Termin für 2018 steht ebenfalls schon in ihrem Kalender. Im Februar spielen die besten Nationalmannschaften bei der dritten Weltmeisterschaft im britischen Manchester. Nach den Championaten 2011 in Toronto und 2014 in Dallas ist es der erste Titelkampf außerhalb Nordamerikas. Von dort kommt die Teamsportart auch, die in Deutschland immer noch in den Kinderrollschuhen steckt. Die Pioneers existieren seit 2012. Einen bundesweiten Spielbetrieb gibt es sogar erst seit 2015 – mit ihnen in Liga zwei. „Wir sind gleich aufgestiegen, haben uns in der Eliteklasse etabliert und jetzt die Chance, mit mindestens einer Spielerin im Team Germany bei der WM vertreten zu sein. Das macht uns sehr stolz“. sagt Sieborn.

Sie trägt wie ihre Mitspielerinnen einen Kampfnamen, die zum Derby gehören wie die vier Rollen an den Schuhen. Coffin Cutie steht auf dem Dress. „Die Namen sind ein Relikt aus den Anfangszeiten.“ Die Ursprünge der Rollschuhrennen reichen bis in die 1880er-Jahre zurück. Ein halbes Jahrhundert später entwickelte Rollerderby sich in den USA zu einer Vollkontaktsportart. Der Schwerpunkt lag auf Rangeleien. Das sorgte für großen Zuschauererfolg im Fernsehen. Es erinnerte an Wrestling auf Rollen – mehr Show und Statement als Sport, alternativ und auch feministisch.

Es gibt einen Part für jeden Typ

Seit der Wiedergeburt in der jetzigen Form nach der Jahrtausendwende wirkt der Rollschuhsport wie das Gegenteil. Auf einer flachen, 27x17 Meter großen Bahn treten zwei Mannschaften mit bis zu 14 Mitgliedern in zweimal 30 Minuten gegeneinander an. Je fünf von ihnen rollen auf dem Oval. Dort versucht immer eine Punktesammlerin mit der Sternhaube auf dem Helm in 120 Sekunden, die Gegnerinnen zu überholen. Die Blockerinnen bilden ein Rudel und wehren sich gegen die Dränglerin mit Checks gegen Hüfte und Schulter. Hals und Kopf bleiben zwar tabu. Der Mundschutz gehört aber dennoch zu den Pflichtutensilien. Schiedsrichter überwachen den Körpereinsatz. Für jede überrundete Spielerin gibt es einen Punkt – und für Fouls Strafzeiten. Daraus ergeben sich Überzahlsituationen und weitere taktische Möglichkeiten. „Das Schöne am Rollerderby ist, dass es für jeden Typ einen Part gibt.“ Egal, ob groß oder klein, kräftig oder dünn, stark oder flink. Für Sieborn ist es auch viel mehr als Rempeln. „Schach mit Körperkontakt“, sagt sie. „Es geht darum, clever, fantasievoll, kreativ und strategisch zu handeln und dem Konkurrenten immer einen Schritt oder eben Zug voraus zu sein. Das macht für mich die Faszination aus.“

Trotzdem begegnet Sieborn immer noch Klischees – etwa dem, dass die Pioneers mit ihren Schuhen den Hallenboden ruinieren. Ein vom Deutschen Roll- und Inline-Verband, unter dessen Dach Rollerderby neben sechs anderen Sportarten organisiert ist, eingeholtes Gutachten widerlegt dieses Vorurteil. Auch ihr Heimatklub Motor Mickten bescheinigt den Pioneers die Unbedenklichkeit ihres Treibens. Das Vorurteil hat die Suche nach einer neuen Location zwar trotzdem erschwert. Fündig geworden sind sie aber dennoch.