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Rückkehr ins Leben

Siegmar Wätzlich spielte mit Dynamo im Europapokal und mit der DDR bei der WM. Am Donnerstag feiert er 70. Geburtstag – vor 20 Jahren schien das unmöglich.

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© Robert Michael

Von Jürgen Schwarz

Am Donnerstag wird es eng in der Rammenauer Gaststätte der Familie Wätzlich. Ab 10 Uhr erwartet Siegmar Wätzlich viele Gäste. Der ehemalige Fußballer, der von 1967 bis 1976 für Dynamo Dresden 156 Punkt- und 23 Europapokalspiele bestritt, feiert seinen 70. Geburtstag. Hans-Jürgen Kreische, Ralf Minge, Hans-Jürgen Dörner, Rainer Sachse oder Frank Richter – sie alle werden kommen. Kein Wunder, schließlich ist „Wätzer“ nach dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte Rammenaus berühmtester Sohn.

Siegmar Wätzlich (l.) mit Gerd Müller vom FC Bayern 1973.
Siegmar Wätzlich (l.) mit Gerd Müller vom FC Bayern 1973. © privat

Siegmar Wätzlich erlebte etliche Sternstunden in seiner Fußballer-Laufbahn. Dreimal gewann er mit Dynamo die Meisterschaft, einmal den Pokal. Er stand beim ersten Europapokalspiel der Dresdner 1967 gegen Glasgow Rangers FC auf dem Rasen, gewann 1972 mit der DDR-Auswahl Olympia-Bronze in München und war zwei Jahre später als einziger Dresdner neben „Hansi“ Kreische bei der Weltmeisterschaft dabei. Obwohl erst 28, beendete er 1976 seine Laufbahn. „Ich hatte mir eine Meniskusverletzung zugezogen. Eigentlich kein großes Ding“, erinnert er sich, „aber ich kam danach körperlich nicht mehr richtig auf den Damm.“

Unvergessen geblieben sind ihm die Worte, die ihm der damalige Mannschaftsarzt Wolfgang Klein mit auf den Weg gab. „Herr Wätzlich, Sie werden einmal große gesundheitliche Probleme bekommen.“ Der Mediziner sollte recht behalten. Seit 1998 lebt „Wätzer“ mit zwei Spenderorganen. Leber und Nieren versagten. „Es ging schon Anfang der 1990er-Jahre los. Ich musste dreimal die Woche mit dem Taxi zur Dialyse nach Dresden fahren.“ Mit gerade mal 50 war der frühere eisenharte Verteidiger ein körperliches Wrack. „Mir ging es richtig dreckig, doch dann wurde mir an der Jenaer Uniklinik ein zweites Leben geschenkt.“

Noch heute, fast 20 Jahre später, ist er emotional ergriffen: „Erst beim dritten Anlauf konnte ich operiert werden. Zuvor stand ich nur an zweiter Stelle.“ Bei jeder Transplantation wurde ein zweiter möglicher Empfänger nach Jena bestellt, um abzusichern, dass das Organ auch wirklich eingesetzt werden kann. „Wären beim ersten Empfänger Probleme aufgetreten, wäre ich nachgerückt. Jeder kann sich wohl vorstellen, was einem durch den Kopf geht. Die Heimfahrt war schlimm.“

„Ich war fix und fertig“

Schließlich kam der Tag, an dem Wätzlich an erster Stelle stand. Doch der Anruf aus der Uniklinik erreichte ihn nicht. „Ich war nicht zu Hause, und als ich wieder in Rammenau ankam, war es zu spät. Ein anderer potenzieller Empfänger war an meine Stelle gerückt. Ich war fix und fertig, denn die Zeit lief gegen mich. Zum Glück wurde noch alles gut.“ Nur 28 Tage nach der Transplantation lief er auf dem Rammenauer Sportplatz eine 400-Meter-Runde.

Wie lange die Niere funktionieren würde, konnte ihm niemand sagen. „Die Abstoßungsgefahr ist bei einer Niere deutlich höher als bei einer Leber“, sagt Professor Helmut Witzigmann, ein Spezialist für Transplantationen im Städtischen Klinikum Dresden-Friedrichstadt, bei dem sich „Wätzer“ regelmäßig durchchecken lässt. „Ich habe großes Vertrauen in seine Fähigkeiten, fühle mich dort bestens aufgehoben“, sagt der Ex-Dynamo. Er muss lebenslang Medikamente einnehmen. Der Nachteil ist, dass diese das Immunsystem des Patienten schwächen. Wätzlich weiß, dass ihn schon ein grippaler Infekt in Gefahr bringt. „Ein verschleppter Virus setzte mir vor drei Jahren ziemlich zu. Zum Glück habe ich mich wieder aufgerappelt.“

Fragt man ihn, welche Fußballvereine seine besondere Sympathie genießen, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Edelweiß Rammenau, Dynamo und der FC Bayern.“ Und verschmitzt fügt er an: „Exakt in dieser Reihenfolge.“ Mehr als 40 Jahre stand er als Übungsleiter in Rammenau an der Seitenlinie. „Das ist mein Heimatverein, dem gehört mein Herzblut. Und die Affinität zu den Münchnern hat natürlich mit den Duellen im Europapokal 1973 zu tun.“ Die beiden Spiele gegen den späteren Cupsieger (3:4, 3:3) sind bis heute legendär.

Wätzlich erinnert sich: „Wir führten in München und in Dresden jeweils mit 3:2 und haben es trotzdem nicht geschafft.“ Immer noch schüttelt er den Kopf. „Ede Geyer war nicht schuld, dass wir das Rückspiel vergeigt haben. Wir haben uns taktisch einfach nicht klug verhalten.“ Seine schonungslose Analyse: „Ich sollte Gerd Müller decken, aber der ließ sich immer wieder ins Mittelfeld zurückfallen. So zog er mich aus der Abwehr. Und da Dixie Dörner bei unseren Angriffen meist mit nach vorn marschierte, stand Ede gegen Uli Hoeneß blank. Und zwar mehrfach.“

Dennoch machten die Dresdner vor 36 000 Zuschauern aus dem 0:2 ein 3:2, dabei erzielte Wätzlich sein einziges Europapokaltor. „Aber es reichte nicht, weil der Müller plötzlich dort stand, wo er nicht stehen sollte.“ Auf die Revanche musste Wätzlich nur ein paar Monate warten. Bei der WM 1974 trafen er und Müller noch einmal aufeinander. Nach Jürgen Sparwassers 1:0-Siegtor gegen die BRD „kamen die Gedanken an Dresden wieder hoch“, sagt er. „Doch diesmal saßen die Bayern Profis bedröppelt in der Kabine.“

Das Ende der WM sah Wätzlich nur vor dem heimischen Fernseher. „Ich hatte mich verletzt und wurde nach Hause geschickt.“ Schon zwei Jahre zuvor war er bei Olympia vorzeitig aus dem Turnier gegangen. „Wir hatten im letzten Zwischenrundenspiel gegen die BRD gewonnen und standen im Spiel um Platz drei gegen die UdSSR. Das endete nach Verlängerung 2:2 – und beide Teams bekamen die Bronzemedaille. Allerdings nur die im kleinen Finale eingesetzten Spieler eine Medaille. Schade, aber es gibt wirklich wichtigere Dinge im Leben.“