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Rom sucht nach Schuldigen für Genua-Tragödie

Italiens Regierung macht Druck auf Autobahnbetreiber Autostrade. Der Innenminister macht auch der EU Vorwürfe.

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© Antonio Calanni/AP/dpa

Von Verena Schmitt-Roschmann, Rom

So viele marode Schulen, so viele Krankenhäuser, Bahnstrecken, Autobahnen, die dringend saniert werden müssen – aber Italien darf wegen „verrückter europäischer Vorgaben“ kein Geld ausgeben: So sieht Italiens Innenminister Matteo Salvini die Lage nach der Brückenkatastrophe von Genua. Das nächste Budget müsse Wohl und Sicherheit der Italiener in den Mittelpunkt stellen. Es ist eine Kampfansage des Vizepremiers an die EU.

Salvinis Vorwurf, Italien könne wegen Brüsseler Sparauflagen seine Infrastruktur nicht sanieren, konterte die EU zurückhaltend. Es sei menschlich, nach der Katastrophe einen Schuldigen zu suchen, twitterte Haushaltskommissar Günther Oettinger. Trotzdem sei es gut, sich die Fakten anzuschauen. Italien habe 2,5 Milliarden Euro aus EU-Regionaltöpfen für Straßen und Bahnen bekommen, zwölf Milliarden an EU-Investitionshilfen und grünes Licht für 8,5 Milliarden Euro eigener Investitionen.

Unterdessen verstärkten die italienischen Behörden den Druck auf die Autobahn-Betreibergesellschaft. Das Verkehrsministerium leitete eine Untersuchung von Autostrade per l’Italia ein und forderte das Unternehmen auf, binnen 15 Tagen nachzuweisen, dass es all seinen Instandhaltungspflichten nachgekommen sei. Die Gesellschaft müsse außerdem bestätigen, dass sie den Viadukt auf eigene Kosten vollständig wiederaufbauen werde.

Der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toto, und Verkehrsstaatssekretär Edoardo Rixi erklärten, Genua werde bis 2019 eine neue Autobahnbrücke haben. „Die Gesellschaft Autostrade wird sie bezahlen“, sagte Rixi.

Einsatzkräfte bargen am späten Donnerstagabend die noch auf den Resten der Brücke stehenden Fahrzeuge. Darunter war auch der grüne Lastwagen, dessen Fahrer bei der Katastrophe am Dienstag wenige Meter vor der Abbruchstelle bremsen konnte. Lokale Medien zeigten ein Video von dem Lastwagen am Abgrund.

Die Retter suchten die ganze Nacht zum Freitag nach weiteren Opfern, da mindestens zehn Menschen noch vermisst werden. Die Suche konzentrierte sich auf die Trümmer eines Brückenpfeilers am linken Polvecera-Ufer. Während eines Unwetters war ein etwa 180 Meter langes Teil des Viadukts in die Tiefe gestürzt und hatte zahlreiche Fahrzeuge mitgerissen.

Bei dem Unglück waren mindestens 38 Menschen ums Leben gekommen. Laut italienischen Presseberichten vom Freitag wollen die Angehörigen von 17 der 38 Opfer aus Ärger über die Regierung in Rom nicht an der für Sonnabend angesetzten offiziellen Trauerfeier teilnehmen.

Der Einsturz der Autobahnbrücke könnte nach Einschätzung eines Experten möglicherweise durch den Riss eines Tragseils verursacht worden sein. „Dies ist eine ernste Arbeitshypothese, aber nach drei Tagen ist es nur eine Hypothese“, sagte Antonio Brencich, Professor für Stahlbetonbau an der Universität Genua, am Freitag. Brencich gehört einer vom Verkehrsministerium eingesetzten Unfallkommission an. Es gebe Zeugenaussagen und Videos, die in Richtung Tragseile wiesen, sagte er vor Journalisten. Dagegen schloss er eine Überlastung der Brücke als Grund aus. „Der Regen, der Donner, die Überlastung sind fantasievolle Hypothesen, die nicht einmal in Erwägung gezogen werden.“

Die Zeitung La Repubblica schrieb, dass eine Studie des Polytechnikums Mailand schon 2017 Schwächen an den Seilen entdeckt habe. Das Blatt zitierte Augenzeugen, die gesehen hätten, wie die Seile nachgaben. Autostrade versicherte, den Wartungspflichten stets nachgekommen zu sein.

In der italienischen Regierung zeigten sich Differenzen, wie weiter vorzugehen sei. Der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung und Minister für Wirtschaftliche Entwicklung, Luigi Di Maio, bekräftigte am Donnerstagabend im Sender La7, man werde dem Unternehmen nicht nur die Lizenz für die Autobahn entziehen, sondern auch eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro verhängen. Dagegen sagte Innenminister Salvini, über mögliche Strafen werde in der kommenden Woche gesprochen.

Aus Sicherheitsgründen waren in Genua insgesamt 13 Wohnhäuser evakuiert worden. 558 Menschen verloren ihr Zuhause. 117 von ihnen sind in Hotels oder bei Privatleuten untergebracht. (dpa)

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