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Ringe für die Störche

2017 verspricht, ein gutes Storchenjahr zu werden. Trotzdem haben es die Vögel schwer.

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© Sebastian Schultz

Von Dörthe Gromes

Riesa. Eine Elbwiese am Ortsrand von Lößnig. Das Gras steht schon recht hoch. Der Storchenbeauftragte des Landkreises Olaf Gambke und Vogelschützer Peter Kneis laden ihre Ausrüstung aus dem Geländewagen – eine zusammenklappbare Aluleiter, ein Klettergurt, Seile, zwei große Säcke mit Schlaufengriff und eine kleine aufblasbare Isomatte. Das Ziel der beiden – ein etwa zehn Meter hoher Mast, auf dem ein Storchennest thront – befindet sich auf einer kleinen Anhöhe.

Erfolgreich gebrütet: 2016 gab es keine Jungstörche in Riesa. Dieses Jahr hatten gleich zwei Paare Erfolg.
Erfolgreich gebrütet: 2016 gab es keine Jungstörche in Riesa. Dieses Jahr hatten gleich zwei Paare Erfolg. © Sebastian Schultz
Schwindelfrei: Storchenbetreuer Olaf Gambke klettert in Lößnig.
Schwindelfrei: Storchenbetreuer Olaf Gambke klettert in Lößnig. © Sebastian Schultz

Ein Altstorch steht auf dem Nest. Misstrauisch beobachtet er die Aktivitäten auf dem Boden. Als wir uns dem Mast nähern, fliegt er davon und kreist von nun an in der Nähe. Schließlich befinden sich seine Jungen in dem Nest.

Geschickt klettert Olaf Gambke an dem Mast hoch. Es ist ein spezieller Storchenmast, der Anfang der 1990er Jahre errichtet wurde und über Kletterhilfen verfügt. Oben angekommen sichert sich der Experte mit dem Klettergurt am Mast. Seine Füße stehen auf einer kleinen Plattform, eine recht wacklige Angelegenheit. Behutsam packt der Storchenspezialist die Jungtiere in den mitgebrachten Sack, den er dann vorsichtig am Seil hinunterlässt.

Am Boden nimmt Peter Kneis die drei Störche in Empfang. „Das ist eine gute Quote für unser Gebiet“, sagt er. Obwohl Störche im Schnitt fünf Eier legen, gelingt ihnen im Altkreis oft nur die Aufzucht von zwei, maximal drei Jungen. „Für den nachhaltigen Bestand der lokalen Population müssten deutlich mehr als zwei Junge pro Brut überleben“, so der Ornithologe, der seit Jahrzehnten die heimische Vogelwelt beobachtet. Hauptgrund für die relativ kleine Nachkommensquote sei vor allem der Nahrungsmangel in den ersten zwei Lebenswochen. Dann brauchen die Küken ausreichend Kleintiernahrung, zum Beispiel Regenwürmer.

Ausgewachsene Störche fressen auch Wühlmäuse, kleine Schlangen, Eidechsen, große Käfer, Heuschrecken und Frösche. „Die Altvögel finden hier jedoch nicht genug davon“, sagt Kneis. Zum einen gibt es immer weniger naturbelassene Feuchtwiesen mit einer reichen Kleintierwelt. Zum anderen werden auf den großen Agrarflächen aus Storchensicht die falschen Feldfrüchte angebaut: „Wintergetreide, Raps und Mais werden meist mit Bioziden behandelt und erheblich gedüngt. Dadurch gibt es weniger Kleintiere. Auch stehen diese Kulturen im Mai und Juni schon so hoch, dass der Storch dort einfach keine Beute mehr erspähen und jagen kann“, erklärt Kneis. Deshalb nehme die durchschnittliche Zahl der flügge werdenden Jungtiere seit rund 30 Jahren ab.

Im aktuellen Jahr jedoch brüten fast alle der insgesamt 21 Storchenpaare erfolgreich: „Wir rechnen derzeit mit einem Spitzenwert von 2,3 Jungen pro begonnene Brut“, so der Naturschützer. Bislang wurden 49 Jungstörche gezählt. Wie viele von ihnen dann auch flügge werden, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

Um die Entwicklung der Storchenpopulation langfristig zu verfolgen, werden die Jungtiere bereits seit vielen Jahren beringt. Das geschieht durch Ehrenamtler wie Olaf Gambke und Peter Kneis vom Verein Pro Natura Elbe-Röder, die dafür einen ganzen Tag unterwegs sind.

Im Alter von vier bis fünf Wochen sind die Jungstörche über die kritische erste Zeit hinaus, können aber noch nicht fliegen. Stattdessen stellen sie sich angesichts der für sie ungewohnten Situation tot und liegen apathisch auf der Isomatte. „Das ist sehr schlau, denn so zeigen sie, dass es nicht lohnt, sie zu fressen“, sagt Kneis.

Um den Oberschenkel der Tiere kommt ein großer, locker sitzender Metallring mit einer eingeprägten Nummer. Nachdem der Ring angepasst ist, misst Peter Kneis Flügel-, Schnabel- und Unterschenkellänge der Tiere. Auch werden sie in ein Netz gelegt und gewogen. Die Werte für jedes Tier protokolliert Olaf Gambke.

Etwa 15 Minuten dauert die ganze Prozedur. Dann erklimmt Gambke wieder den Mast, die Jungstörche kommen in den Sack und werden langsam hochgezogen. Nachdem das geschafft ist, räumen die beiden ihre Sachen wieder ins Auto. Und weiter geht es zum nächsten Nest.