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Riesa fehlen die Physiotherapeuten

Der Bedarf wächst, doch der Arbeitsmarkt ist leer gefegt. Schon jetzt bekommen das die Patienten zu spüren.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann

Riesa. Das jüngste Gespräch mit der Arbeitsagentur war ernüchternd, sagt Katrin Haase. Die Ergotherapeutin aus Riesa sucht gerade nach einer Schwangerschafts-vertretung. Am liebsten würde sie sofort jemanden einstellen, der die Arbeit der Kollegin übernimmt. Doch das ist leichter gesagt, als getan. Die Folge: Weniger Patienten können behandelt werden. Für sie bleibe dann nur die Suche nach einer anderen Praxis im Umkreis. „Aber das ist schwierig“, sagt Haase. Denn letztlich hätten fast alle Therapie-Praxen das Personal-Problem.

Schon jetzt fehlen den Physio- und Ergotherapiepraxen die Mitarbeiter. Im Mai standen den knapp 50 freien Stellen im Landkreis Meißen lediglich zwölf arbeitssuchende Fachkräfte gegenüber. Der Mangel könnte sich künftig noch verschärfen, fürchtet Katrin Haase. Denn die Bedingungen, unter denen sie und ihre Kollegen wirtschaften müssen, seien schwierig. „Die Honorare der Kassen sind gering, man kann keine angemessenen Gehälter zahlen.“ Nach Angaben des Deutschen Verbands für Physiotherapie verdienen Physiotherapeuten im Bundesschnitt 2 100 Euro brutto, das liegt noch unter dem durchschnittlichen Einkommen für Pflegekräfte. Die Folge: Niemand will mehr in der Branche arbeiten. Schließlich verlange der Job auch flexible Arbeitszeiten. „Die Termine bieten wir von 7 bis 20 Uhr an“, sagt etwa Katrin Haase. Flexibilität sei gefragt. Viele junge Menschen ziehen dann angesichts der schlechten Bezahlung eine Stelle mit festen Arbeitszeiten vor.

Diese Erfahrung hat auch Ilka Tanneberger schon gemacht. Seit zwei Wochen ist sie wieder einmal auf der Suche nach einer neuen Fachkraft – und hofft, dass sie nicht erst in 151 Tagen fündig wird. So lang bleiben Stellen in der Physiotherapie durchschnittlich unbesetzt. „Für die Patienten bedeutet der Fachkräftemangel natürlich, dass die Wartezeiten extrem steigen“, sagt Ilka Tanneberger. Denn die paar Mitarbeiter müsse sie als Chefin natürlich schonen. Dabei kann die Physiotherapeutin noch besser zahlen als mancher Kollege, sagt sie. „Die Osteopathie, die ich mit anbiete, wird von den Kassen gut bezahlt. Das kann ich dann sozusagen an meine Mitarbeiter durchreichen.“

Viele Therapeuten müssen aber im Wesentlichen mit dem wirtschaften, das die Krankenkassen zahlen. „Vor allem die Vergütung von Hausbesuchen ist eine absolute Frechheit“, ärgert sich Katrin Haase. Für den Einsatz im Pflegeheim zahle die Kasse seit einer leichten Erhöhung im Mai 6,50 Euro. Geld, von dem sie nicht nur das Stundengehalt ihrer Mitarbeiterin bezahlen muss, sondern auch die Fahrtkosten. „Ich zahle dann bei einem Hausbesuch zu.“ Es gebe mittlerweile Therapiepraxen, die deshalb keine Hausbesuche mehr anbieten. „Dabei brauchen gerade diese Patienten am dringendsten unsere Hilfe. Die bleiben dann aber auf der Strecke.“ Hinzu komme noch, dass die Aus- und Weiterbildung teuer sei. – Vor allem selbstständige Therapeuten haben es wegen des Fachkräftemangels und der geringen Vergütung schwer, Altersarmut ist ein großes Thema in der Branche. Auch Katrin Haase sagt, sie lebe derzeit eher am Minimum. Mitarbeiter versucht sie neben der Bezahlung, über weiche Faktoren zu gewinnen und zu halten, etwa das Arbeitsklima und Freiräume bei den Arbeitszeiten und mehr Urlaub.

Erst vor wenigen Tagen hatten Tausende Therapeuten aus ganz Deutschland für bessere Arbeitsbedingungen protestiert, waren bis vors Gesundheitsministerium in Berlin gezogen, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. „Das ist eine großartige Aktion“, sagt Katrin Haase. Vor allem, weil alle Verbände mit an Bord gewesen seien. Umso mehr ärgert sie, dass Gesundheitsminister Spahn nicht vor die Leute trat. „Es ärgert mich, dass die Arbeit am Menschen so gering geschätzt wird.“ Immerhin, es ist Besserung in Sicht: Bis 2019 soll die Vergütung schrittweise erhöht werden. „Das ist ein erster, ganz wichtiger Schritt“, sagt Ute Merz vom Verband für Physiotherapie ZVK . „Aber es müssen weitere folgen.“ Sie verweist auf Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit, wonach schon heute in zehn von 16 Bundesländern Fachkräftemangel in der Branche herrsche. „In fünf weiteren gilt die Physiotherapie als Engpassberuf. Unser Beruf muss attraktiver werden. Die Politik muss heute die Weichen für morgen stellen, um die Patientenversorgung zu sichern.“ Das sieht auch die Riesaerin Katrin Haase so. Der Bedarf werde auch in der Sportstadt weiter steigen.