Merken

Raus aus der Stadt

Ein Trend kehrt sich um. Junge Leute erkennen die Vorteile des Lebens auf dem Land. So wie Familie Zieger aus Dörschnitz.

Teilen
Folgen
© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Lommatzsch. Hier fühlt sich Julius richtig wohl. Das große Gelände ist für den knapp Zweijährigen ein riesiger Abenteuerspielplatz. Er und sein sechsjähriger Bruder Simon, der jetzt in die Schule kommt, haben sogar einen richtigen eigenen Spielplatz und einen Pool. Die Eltern Janin und Sören Zieger müssen sich keine Sorgen machen. Hier in Dörschnitz am Mühlenweg kommt kaum ein Auto vorbei. Die 27-Jährige und ihr vier Jahre älterer Mann werden dafür sorgen, dass der kleine Lommatzscher Ortsteil nicht nur an Einwohnern gewinnt, sondern sich auch verjüngt. Sie gehören zu den jungen Leuten, die mittlerweile die Vorteile des Dorflebens erkannt haben, raus wollen aus der Stadt und auf dem Dorf ein Haus bauen.

Ein Trend kehrt sich um. Während vor Jahren viele in die Städte zogen, die Dörfer auszusterben drohten, geht es seit einiger Zeit offenbar andersherum. Gründe dafür gibt es viele. So sind in den Ballungszentren sowohl Mieten als auch Grundstückspreise kaum noch erschwinglich für Normalverdiener. Auch die Bauzinsen sind derzeit niedrig. Gründe für junge Familien wie die Ziegers, sich auf dem Land nach Baugrundstücken umzusehen. „Wir wollten immer schon ein eigenes Haus, einen Bungalow haben, sahen uns viele Grundstücke an, fanden aber bisher nicht das richtige“, sagt Janin Zieger. Schließlich baut man in der Regel nur einmal im Leben, und die Ziegers haben bestimmte Vorstellungen, vor allem was die Grundstücksgröße betrifft. In einer Wohnsiedlung Haus an Haus mit nur einem schmalen Grünstreifen vor der Tür wollten sie jedenfalls mit ihren beiden Kindern und Chiwawa-Hündin Maja nicht leben. „Wir wollten das perfekte Grundstück, mindestens 1 500 bis 2 000 Quadratmeter groß’“, sagt Sören Zieger. Sie drängte nichts, sie ließen sich Zeit, wohnten sie doch in einer 160 Quadratmeter großen Wohnung in Lommatzsch, verteilt allerdings auf zwei Etagen. „Durch Zufall hatten wir erfahren, dass in Dörschnitz ein großes Grundstück zum Verkauf stand“, sagt die 27-Jährige. Schon bei der ersten Besichtigung war klar: Das ist es. Und das, obwohl das Haus, das zehn Jahre nicht bewohnt war, völlig nass war, nur noch abgerissen werden konnte, das Grundstück verwildert war. Doch die Größe und die gute Lage, nicht zuletzt auch der günstige Preis überzeugten die Familie.

Im Juni vorigen Jahres kauften sie das Grundstück, von da an war das Wort Feierabend aus dem Wortschatz gestrichen. Fast täglich sind die Ziegers in Dörschnitz, rissen das alte Wohnhaus eigenhändig ab und schafften den Müll mit Multicar und Anhänger auf die Deponie nach Groptitz. Zuvor hatten sie meterhohes Unkraut gejätet. Im Dezember begann der Erdaushub, im Januar wurde die Bodenplatte gegossen. Der Rohbau stand nach zwei Wochen. Vieles machen die Ziegers selbst und mithilfe von Familie, Freunden und Bekannten. Das Fliesenlegen und die Elektrik zum Beispiel. Ende September soll Einzug gefeiert werden. Bis dahin ist noch einiges zu tun. „Wir rackern jetzt seit einem Jahr, kommen langsam an unsere Grenzen. Bloß gut, dass die Omas die Kinder behalten“, sagt Janin Zieger.

Schon am Wochenende wird in Dörschnitz Schulanfang gefeiert, obwohl das Haus noch nicht fertig ist. „Das hat sich Simon so gewünscht“, sagt Janin Zieger. Platz auf dem insgesamt 3 200 Quadratmeter großen Grundstück ist ja genug. Neben Spielplatz und Pool hat Sören Zieger auch schon einen Fischteich angelegt, die Fische aus dem Garten hierhin umgesiedelt. Er hat noch viel vor. Einen Grillplatz mit Pavillon möchte er später anlegen. So zwei Jahre haben sie wohl noch zu tun, bevor sie „rum“ sind, schätzt Janin Zieger. Der Traum ihres Mannes war es immer, einen alten Drei- oder Vierseithof wieder aufzubauen. Davon hat er sich verabschiedet, die Zukunft liegt jetzt in dem eingeschossigen Bungalow, Vor allem Janin Zieger war das wichtig. Nach mehreren Knieoperationen fällt ihr das Treppensteigen schwer.

Mit den Nachbarn haben sich die Ziegers sofort gut verstanden. „Nach einem Unwetter kamen sofort Nachbarn und halfen uns. Es ist richtig schön hier“, sagt Janin Zieger. Und ihrem Mann gefällt, dass es in dem Ort ein reges Vereinsleben mit Chor, Fasching, Maibaumstellen und vielem mehr gibt. Bis Lommatzsch, Riesa oder Meißen ist es nur ein Katzensprung. Da ist es zu verschmerzen, dass Einkaufsmöglichkeiten im Ort praktisch nicht vorhanden sind. Für die Ziegers kein Problem. Sie arbeitet in Lommatzsch, er in Ostrau, beide sind also ohnehin in der Stadt.

Dörschnitz ist kein Einzelfall, in vielen Lommatzscher Ortsteilen gibt es Zuzug. So gewann im vergangenen Jahr unterm Strich Birmenitz neun Einwohner dazu, in Ickowitz gab es ein Plus von fünf. „Es gibt in allen Orten Bewegung, Einwohner ziehen zu, aber auch wieder weg. Kein Ort wird tatsächlich leer. In Barmenitz beispielsweise, wo jahrelang nur ein Einwohner lebte, wohnen aktuell wieder sechs“, sagt Bürgermeisterin Anita Maaß (FDP). Die Entwicklungen seien aber sehr unterschiedlich. Im vergangenen Jahr hatten auch beispielsweise Neckanitz und Schwochau ein positives Saldo. „In Dörschnitz gab es zwar einen negativen Wanderungssaldo von vier, aber gute Perspektiven im nächsten Jahr durch sanierte oder im Bau befindliche neue Häuser wieder an Einwohnern zu gewinnen“, sagt die Lommatzscher Bürgermeisterin. Im Falle der Ziegers ist das zwar nur eine Umverteilung von der Kernstadt in einen Ortsteil. Doch es gäbe durchaus auch viele „echte“ Zuzüge aus umliegenden Städten, versichert die Bürgermeisterin.

Nicht nur das bestärkt sie in der Hoffnung, dass die Dörfer nicht wie vor Jahren befürchtet, aussterben. Leute wie die Ziegers sorgen dafür, dass die kleinen Orte wieder eine Zukunft haben.