Merken

Rathaus plötzlich ohne Mehrheit

Die SPD im Dresdner Stadtrat hat sich selbst zerlegt, deshalb steht nun alles infrage für die bisherige Kooperation aus Linken, Grünen und SPD. Ein Rachefeldzug wird vermutet.

Teilen
Folgen
© Sven Ellger

Andreas Weller

Ein gutes halbes Jahr vor der Kommunalwahl und zwei Wochen, bevor der Finanzplan für die kommenden zwei Jahre beschlossen werden soll, ist die Mehrheit im Stadtrat gesprengt. Die Kooperation aus Linken, Grünen und SPD kann nicht mehr alleine entscheiden. Grund dafür ist, dass drei Stadträte aus der SPD-Fraktion ausgetreten sind. Thomas Blümel, Christian Bösl und Peter Bartels haben sich nach monatelangen Querelen zu diesem Schritt entschieden. Gemeinsam mit dem bisher fraktionslosen Stadtrat Jan Kaboth bilden sie die neue Bürgerfraktion.

weil (v.l.n.r) Christian Bösl, Peter Bartels und Thomas Blümel aus der SPD ausgetreten sind und mit Jan Kaboth die neue Bürgerfraktion bilden – das „Zünglein an der Waage“.
weil (v.l.n.r) Christian Bösl, Peter Bartels und Thomas Blümel aus der SPD ausgetreten sind und mit Jan Kaboth die neue Bürgerfraktion bilden – das „Zünglein an der Waage“. © Andreas Weller

„Die Arroganz der Macht“, habe ihn gestört, erklärt Bösl, der Chef der neuen Fraktion ist. Linke. Grüne und SPD seien sich ihrer Mehrheit zu sicher gewesen. Der „Kooperations-Block“ habe seine Positionen „durchgezogen“. Als sich 2014 das Mehrheitsbündnis schmiedete, habe man es besser machen wollen, als die CDU zuvor. Das sei anfangs gelungen. „Mit dem Weggang von Christian Avenarius wurde aber vonseiten der SPD aufgehört, das Gespräch auch mit den anderen Fraktionen zu suchen“, kritisiert Bösl. Avenarius übernahm das Sachsen-Büro in Brüssel, im April wurde Dana Frohwieser Fraktionschefin.

Blümel berichtet: „Ich war aus Disziplin gezwungen, meine Hand für Sachen zu heben, von denen ich nicht überzeugt war.“ Als Beispiele benennt er die Rechtsform, in der die städtische Wohnungsbaugesellschaft gegründet wurde und die Finanzierung der Stadtbezirksbeiräte. Letztere würden 13 Millionen Euro zur Verfügung gestellt bekommen, ohne dass geklärt sei, über welche Dinge sie entscheiden dürfen. Den letzten Anstoß zum Austritt, der übrigens auch den aus der Partei bedeutet, gab Blümel der Parteitag vor knapp zwei Wochen. Er kandidierte für einen Spitzenplatz bei der Stadtratswahl im kommenden Mai. Doch seine Parteifreunde wählten ihn nicht. „Ich wurde öffentlich bloßgestellt.“

Auch Bartels führt vor allem persönliche Gründe an. „Ich bin in den letzten Monaten mehrfach kritisiert worden. Ein Vorstandsmitglied hat zu mir gesagt: Du schadest der SPD.“ So lasse er nicht mit sich umgehen. Außerdem wurden Bösl und Bartels von der SPD nicht mal gefragt, ob sie erneut für die Partei in den Stadtrat wollen.

Bösl sagt, er nehme eine deutliche Veränderung, politisch und atmosphärisch, in der SPD-Fraktion wahr, seit der Chefposten umbesetzt wurde. „Dieser Linksruck ist zum Scheitern verurteilt.“ Die SPD sei seiner Meinung nach eine Partei der Mitte. In dieser politischen Mitte wolle nun auch die Bürgerfraktion aktiv werden.

„Ich freue mich, dass es sie wieder gibt“, erklärt Kaboth. Er war bereits in der Bürgerfraktion von 2009 bis 2014, die häufig ausschlaggebend für Mehrheiten war. „Jetzt sind wir wieder das Zünglein an der Waage“, so Kaboth. Zwischen den Blöcken zu vermitteln, kenne er von damals. „Das ist heute aktueller denn je.“ Denn zu der Spaltung der Gesellschaft trage auch der Stadtrat mit Grabenkämpfen und persönlichen Beleidigungen seinen Teil bei.

Diese Entscheidungen werden zu einer Machtverschiebung führen. Rot-Grün-Rot hatte bisher mit 37 von 70 Sitzen im Rat eine knappe Mehrheit. Jetzt müssen alle Seiten um zusätzlich Stimmen kämpfen. Im Gegensatz zu der Zeit von 2009 bis 2014 reichen CDU und FDP die Stimmen der Bürgerfraktion aber nicht für eine Mehrheit. Dann muss ein vierter Partner gefunden werden. Aber auch Linke, Grüne und SPD sind auf die Bürgerfraktion angewiesen.

Die SPD reagiert angefressen. „Aufgrund diverser Konflikte in den vergangenen Monaten überrascht uns die Reaktion von Thomas Blümel, Christian Bösl und Peter Bartels leider nicht. Wir bedauern, dass alle drei aus verletzen Eitelkeiten die gemeinsame sozialdemokratische Sacharbeit für Dresden verlassen haben“, erklärte der Vorstand aus Dana Frohwieser, Kristin Sturm und Vincent Drews. „Drei Stadträte, die das Vertrauen der SPD verloren haben, führen nun, nachdem sie nicht mehr als Kandidaten für den Stadtrat aufgestellt wurden, plötzlich einen Rachefeldzug gegen ihre eigene Partei, und zwar auf dem Rücken unserer Stadt“, so Linken-Fraktions-Geschäftsführer Thomas Feske. „Dies ist verantwortungslos.“ Die Grünen bedauern es und reagieren zunächst unsicher. „Ich hoffe, dass diese Entwicklung zwei Wochen vor dem Haushaltsbeschluss nicht zum Stillstand im Rat führt“, so Fraktionschef Thomas Löser. CDU-Fraktionschef Jan Donhauser erklärt sich bereit, Gespräche zu führen. „Wir müssen mit der Situation umgehen, ganz ohne Häme.“