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Quidditch-Mitspieler gesucht

Stefan Bittner ist riesiger Harry-Potter-Fan. Er und seine Frau haben in ihrem Haus in Görlitz eine schier unglaubliche Welt geschaffen.

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© pawelsosnowski.com

Von Susanne Sodan

Görlitz. Ein Mann in Hogwarts-Uniform öffnet die Tür. Das Haus dazu ist von außen betrachtet, mit Verlaub, eher unspektakulär. Normales Einfamilienhaus in Kunnerwitz. Aber da steht ein Mann in Hogwarts-Schuluniform im Türrahmen. Der Mann zuckt die Schultern. „Wenn sich mal die Möglichkeit bietet, das zu tragen ...“ Alles dabei: schwarze klassische Hose, weißes Hemd, der dunkelgraue Pullunder, Zauberstab-Halfter um die Hüften, die Krawatte in den Farben von einem der vier Häuser, denen die Schüler der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei zugeteilt werden. Eine magische Welt, die Welt von Harry Potter. In der realen Welt des Hauses in Görlitz geht es eine Treppe hinauf ins Obergeschoss, zum Hobby-Zimmer. Hört sich ebenfalls unspektakulär an, nach Laubsägearbeiten. Aber was sich hinter der Tür befindet, ist das Gegenteil: Stefan und seine Frau Claudia Bittner sind riesige Harry-Potter-Fans. Und haben sich einen Raum eingerichtet, den man hier einfach nicht vermutet und für den sie fast Eintritt nehmen könnten.

Die Zauberstäbe im Detail.
Die Zauberstäbe im Detail. © pawelsosnowski.com
Und die Eule.
Und die Eule. © pawelsosnowski.com

Kommt man rein, fällt der Blick als Erstes auf ein Modell der Zauberschule Hogwarts, das auf einem Bord steht. Darüber an der Wand hängen zwei Kästen, ausgekleidet mit dunkelrotem Samt, bestückt mit zig Zauberstäben von nahezu allen Hauptfiguren: von Harry Potter, von Professor Severus Snape, Dumbledore, Luna Lovegood, Neville Longbottom, knapp 20 verzierte Zauberstäbe. Der Blick wandert nach oben zu dem gusseisernen Lüster an der Decke, von dem zig alte Schlüssel mit Flügeln baumeln. Harry-Potter-Kenner wissen Bescheid, das sind die fliegenden Schlüssel aus Band 1. Wo auch immer man hinschaut, entdeckt man etwas: das Diadem von Ravenclaw, eine Eule, eine leere Flasche Butterbier. „Die hat meine Frau mir zum Geburtstag geschenkt.“ Vieles ist gekauft, wie die Zauberstäbe. Bei anderen Dingen brauchte es schon eigenes Geschick: Das Hogwarts-Modell ist ein 3-D-Puzzle aus 800 bis 1000 Teilen. Und wieder anderes, wie die geflügelten Schlüssel, ist selbst gemacht. „Eigentlich ganz einfach, aber muss erst mal drauf kommen“, sagt Claudia Bittner. Viele Ideen holen sie sich aus dem Internet.

Über der Ecke eines Fernsehers hängt der sprechende Hut, der die Gedanken und Charaktereigenschaften der Schüler von Hogwarts lesen und sie dadurch den vier Häusern der Zauberschule zuteilen kann. Stefan Bittners Krawatte ist grün-silbern gestreift, die Farben des Hauses Slytherin. „Nun“, sagt er, „ich bin nicht sehr mutig und halte mich auch nicht für sonderlich klug. Aber ins Haus Hufflepuff wollte ich auch nicht.“ Ob der sprechende Hut diese Einschätzung teilen würde? Leseratten sind selten stupide, Mut hat Stefan Bittner kürzlich mit einem Facebook-Post bewiesen.

In der Facebook-Gruppe „Görlitzer Stadtgeflüster“ suchte er nach Interessierten für eine Quidditch-Mannschaft in Görlitz. Quidditch ist eine Sportart in der Harry-Potter-Welt, wird auf fliegenden Besen gespielt. Die Reaktionen reichten von augenzwinkernden Antworten, über Fragen bis hin zu Häme. Dabei ist Quidditch schon längst kein reiner Fantasiesport mehr. Auf dem Boden wird es als eine Mischung aus Rugby, Handball und Völkerball gespielt, erklärt Stefan Bittner. Eine Stange zwischen den Beinen, der stilisierte Besen, dient als Erschwernis. Wie praktisch dieser Sport ist, darüber lässt sich streiten, aber er bekommt immer mehr Anhänger. An der Quidditch-Weltmeisterschaft 2016 nahmen 21 Mannschaften teil. Dresden hat einen Verein, die Deluminators. Aber nach Dresden möchte Stefan Bittner nicht immer fahren. Deshalb sein Aufruf. „Also wenn Kinder für diese ‚Sportart‘ Interesse zeigen ... Aber ‚Erwachsene?“, schreibt ein Nutzer dazu.

Das sehen Bittners anders. Vor 20 Jahren erschien der erste Harry-Potter-Band von Joanne K. Rowling. Bittner gehört im Grunde zur ersten Generation, die mit Harry Potter aufgewachsen ist. „Ich habe früher kaum gelesen“, erzählt er, „selbst meine Schulbücher nicht. Die haben meine Eltern gelesen und mir gesagt, was drinsteht.“ In den Ferien 2001, er war 15 Jahre alt, änderte sich das abrupt. „Den ersten Teil der Verfilmung hatte ich damals bereits gesehen“, erzählt er. Seine Mutter lieh ihm den zweiten Buchband. „Für mich der Einstieg in die Welt des Lesens.“ Vielleicht, weil man sich mit Harry Potter gut identifizieren kann, sagt Claudia Bittner, sie arbeitet als Erzieherin. Die Geschichte spielt zwar in einer fantastischen Welt, aber eben auch im Großbritannien der Gegenwart – auch mit Problemen, vor die Jugendliche in der Realität gestellt sind. Die Vielzahl der Charaktere und ihrer Hintergründe erhöht die Wahrscheinlichkeit, eine Figur zu finden, mit der man sich gut identifizieren kann. Jeden weiteren erscheinenden Band jedenfalls las Stefan Bittner innerhalb von 24 Stunden, „manchmal sogar in den Schulpausen. Damit war ich schon ein bisschen ein Außenseiter.“ Später las er beispielsweise die Werke von J. R. Tolkien, C. S. Lewis, Hohlbein. Mit seiner Begeisterung für Fantasy geht Stefan Bittner weder hausieren noch versteckt er sie, wie der Quidditch-Aufruf zeigt. „Warum sollte ich?“ Harry Potter war für ihn einfach der Anfang einer Leidenschaft für Literatur, und die Freude über die Romane blieb einfach bis heute. Erwachsenenalter hin oder her.

Gerne wäre er Buchhändler oder Bibliothekar geworden. Aber nach der Schule klappte es nicht mit einem Ausbildungsplatz. „Die Stellen waren damals wie heute rar gesät.“ Auch als er im Berufsleben stand – Stefan Bittner ging in den Einzelhandel – hätte er noch mal eine neue Ausbildung in der Richtung angefangen, wenn sich die Möglichkeit ergeben hätte. Viele Görlitzer kennen ihn vom Ansehen bestimmt: Er war lange bei Norma im City-Center. „Zwei Kolleginnen von mir waren auch große Fans.“ Heute ist er bei Woolworth in Königshufen. Er nimmt über Facebook auch Bewerbungen an – für die Quidditch-Mannschaft. 15 Mitspieler braucht es, 20 wären super.