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Polit-Stress ist Geschichte

Beim WM-Kandidatenturnier der acht Schach-Riesen in Berlin hat ein Jurist aus Hamm das Sagen.

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© dpa

Von Harald Keilhack

Warum brauchen Schachspieler Schiedsrichter? Diese Frage hätte man mal Lothar Schmid stellen sollen, den als „Schachschiedsrichter des Jahrhunderts“ geehrten Großmeister aus Bamberg. Im Kalten Krieg brachte er diplomatisch geschickt legendäre WM-Duelle zwischen Bobby Fischer aus den USA und Boris Spasski aus der UdSSR 1972 in Reykjavik sowie zwischen Anatoli Karpow aus der UdSSR und Viktor Kortschnoi aus der Schweiz 1978 in Baguio City über die Bühne.

Beide Duelle eskalierten zum Politkrimi und standen wiederholt am Rand des Abbruchs. Es gab viele Einsprüche und Gegenproteste: wegen der Fischer störenden Filmkameras, nicht mucksmäuschenstiller Zuschauer, angeblich unerlaubter Zeichen an die Spieler, vom KGB angebrachter Störsubstanzen, Gurus und Parapsychologen im Publikum. Einzig der 2013 gestorbene Schmid genoss angesichts der verhärteten Fronten das Vertrauen beider Seiten.

Vor solchen Problemen steht Klaus Deventer als Hauptschiedsrichter beim WM-Kandidatenturnier in Berlin nicht. Für den 59-Jährigen, im Hauptberuf Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Hamm, ist das der vorläufige Höhepunkt seiner Funktionärskarriere. Im Unterschied zu Schmid ist er als Spieler nicht in Erscheinung getreten.

Deventers Einsatz beim Wettbewerb der acht Großmeister verlief in der ersten Hälfte recht geräuschlos. Nach sieben von 14 Partien führte der US-Amerikaner Fabiano Caruana mit fünf Punkten vor Aserbaidschans Schachrijar Mamedscharow mit 4,5 Zählern. Seit 2015 ist Deventer stellvertretender Präsident im Deutschen Schachbund. Sein Engagement hat gute Gründe: „Schach ist ein Sport, der keine Barrieren kennt. Alt – Jung, Mann – Frau, behindert – nicht behindert, deutsch – nichtdeutsch, Arm – Reich: Es gibt keine sportartspezifischen Unterschiede. Das ist unsere Stärke.“

Dass es nicht immer so ruhig zugeht beim Kampf auf den 64 Feldern bewies eine Episode beim Kandidatenturnier 2016 in Moskau. Im Fokus stand die Partie zwischen dem Armenier Levon Aronjan und Hikaru Nakamura: Der US-Amerikaner hob seinen König an, bemerkte aber, dass jeder Zug mit ihm verliert. Doch laut Regelwerk muss eine berührte Figur gezogen werden. Ausnahme ist ein offenkundig versehentliches Umschmeißen. Nakamura setzte mit Unschuldsmiene seinen König zurück, wurde aber nach kurzer Debatte vom Gegner und Hauptschiedsrichter Werner Stubenvoll aus Österreich darauf hingewiesen, dass er seinen König ziehen müsse. (dpa)