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Polen drängen auf Tempo bei Bahn-Elektrifizierung

Östlich der Neiße soll bis Ende 2019 alles geschafft sein. In Deutschland spricht die Bahn von 2029. Sicher ist das nicht.

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© Pawel Sosnowski

Von Ingo Kramer

Landkreis. Die Wortwahl von Jakub Kapturzak könnte kaum deutlicher sein. „Beschämend“ sei das Niveau der Elektrifizierung der Bahnstrecken an der deutsch-polnischen Grenze, sagte er gestern beim Expertengespräch im Görlitzer Bahnhof. Und Kapturzak ist kein kleines Licht, sondern in Warschau Abteilungsleiter im Ministerium für Infrastruktur der Republik Polen. Bei seinem Land liegt die Schuld an der beschämenden Situation nicht: „Bis Ende 2019 werden wir auch den letzten Abschnitt von Wegliniec bis Zgorzelec elektrifizieren.“ Dann fehlen nur noch die 800 Meter von der Grenze bis zum Bahnhof Zgorzelec.

Dass es auch dort vorwärtsgehen muss, sahen viele Teilnehmer des deutsch-polnischen Expertengespräches so. Deshalb verabschiedeten sie eine Erklärung, in der sie eine schnelle Elektrifizierung der Bahnstrecken rund um Görlitz verlangen. „Die Weichen für eine Elektrifizierung auch auf deutscher Seite von Görlitz nach Dresden, nach Cottbus und nach Zgorzelec müssen jetzt gestellt werden“, heißt es darin. Und weiter: „Die Stadt Görlitz, der Freistaat Sachsen und die Wojewodschaft Niederschlesien erwarten ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zur Anbindung der Region Ostsachsen an das elektrische Bahnnetz.“ Nach Aussage des bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Stephan Kühn soll die Erklärung jetzt an die Teilnehmer des deutsch-polnischen Bahngipfels verschickt werden, der am 11. Juni in Potsdam stattfindet. „Ich hoffe, dass die Bundesregierung dort ein klares Bekenntnis für dieses Anliegen abgibt“, sagt Kühn. Er hatte gemeinsam mit dem Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege (parteilos) zu dem Expertengespräch eingeladen.

Für Polen ist die Ost-West-Verbindung eine Hauptlinie. „Entlang dieser Bahnstrecke lebt die Mehrheit der polnischen Bevölkerung und hier gibt es auch die meiste Industrie“, sagt Kapturzak. Entsprechend unverständlich ist es für ihn, dass es auf deutscher Seite nicht zügig vorwärtsgeht. Ulrich Mölke von der Deutsche Bahn Netz AG sieht die Sache anders: „Wenn die Elektrifizierung zwischen Zgorzelec und Görlitz so einfach wäre, säßen wir heute nicht hier.“ Mölke gehört zu dem Team, das für zehn Millionen Euro die Vorplanung der Elektrifizierung der Strecke Dresden-Görlitz erstellen soll: „Bis 2019 werden wir die gesamte Vorplanung vorliegen haben.“ Der Anschluss an der Grenze sei aus vielen Gründen schwierig, vor allem aber, weil es zwei verschiedene Fahrsysteme, zwei Stromsysteme sind: In Polen wird mit Gleichstrom gefahren, in Deutschland mit Wechselstrom. Hinzu komme unter anderem, dass die Blockhausbrücke zu niedrig für eine elektrifizierte Bahnstrecke ist: „Sie muss zunächst neu gebaut werden.“ Dass der Bahnhof unter Denkmalschutz steht und auch eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung nötig ist, seien die kleineren Hürden. Einen möglichen Zeitplan stellte Mölke dennoch vor: Nach den einzelnen Planungs- und Genehmigungsphasen könnte 2026/27 gebaut werden. Nach der Abnahme wäre dann 2028 oder 2029 eine Inbetriebnahme denkbar.

Für Kapturzak sind solche Zeitfenster ein Unding: „Uns ist bewusst, welche Schwierigkeiten das deutsche Recht bereiten kann“, sagt er. Das sei mit dem polnischen Recht nicht vergleichbar. Dennoch appellierte er an Mölke, die 800 Meter an der Grenze aus dem Gesamtplan herauszunehmen und den Zeitplan zumindest dort optimistischer zu gestalten: „Auch die Zentralregierung in Warschau und die Regierung von Niederschlesien werden die deutsche Seite dabei unterstützen.“

Die einzige Variante für deutlich mehr Tempo sieht Mölke darin, ein völlig neues Projekt zu starten, eine Art Pionierprojekt, in dem bewusst Risiken eingeplant werden: „Da würden wir vielleicht erst einmal Behelfsbahnsteige bauen oder ein Gleis da hinlegen, wo bisher keins ist – und dann hinterher sehen, ob das zur Gesamtplanung passt.“ Für ein solches Pionierprojekt aber habe er keinen Auftrag. Und er zweifle daran, dass der Bund dafür Geld gibt.

Auf den Bund hofft derweil Stephan Kühn mit der gestrigen Erklärung. Beim Bahngipfel am 11. Juni in Potsdam treffen sich die Verkehrsminister und die Bahnchefs von Polen und Deutschland. „Die Polen werden dort ordentlich Druck machen“, sagt er. Bisher steht die Elektrifizierung der Strecken Dresden-Görlitz und Cottbus-Görlitz im Bundesverkehrswegeplan nur als „potenzieller Bedarf“, bei dem die Umsetzung offen ist. Kühn fordert eine Hochstufung in den vordringlichen Bedarf. „Wir brauchen eine schnelle Entscheidung, denn Deutschland hängt hinterher“, sagt er – und hofft auf den 11. Juni.