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Orgeln erholen sich vom Sommer

Die meisten Instrumente in Görlitzer Kirchen haben unter der langen Trockenheit gelitten. Orgelbaufirmen haben deshalb gerade viel zu tun.

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© nikolaischmidt.de

Von Ines Eifler

Görlitz. Orgelbauer Thomas Braun steigt auf die Leiter hinter der Orgel der Görlitzer Lutherkirche, öffnet eine der Türen des großen Instruments und prüft den Klang jeder einzelnen Orgelpfeife. Unten, an der Vorderseite der Orgel, sitzt Kirchenmusikdirektor Reinhard Seeliger und spielt eine Taste nach der anderen an. „Hören Sie, der Ton ist zu tief“, sagt er, „und der auch!“ Kaum hörbar für den Laien im Gottesdienst, aber den Organisten stört es. Alle Töne, die aus den großen Pfeifen auf der linken Seite der Orgel kommen, klingen etwas tiefer als die Töne auf der rechten Seite. „Das geschieht, wenn eine der Windladen zu wenig Luft abgibt“, sagt Thomas Braun. „Dann fehlt es an Kraft für die angesprochenen Töne und sie klingen schwächer als die anderen.“

Besonders bei extremen klimatischen Bedingungen oder extremen Wetterwechseln reagierten viele Orgeln mit Stimmungsveränderungen oder sogenannten Heulern. Bei großer, langer Trockenheit können kleine Risse in den Kammern der Windlade entstehen, sodass Luft entweicht und damit den Pfeifen nicht in genügendem Maße zur Verfügung steht. Heuler entstehen, wenn Ventile der Orgelpfeifen aufgrund von Trockenheit nicht mehr vollständig schließen können. Dann geben die Pfeifen einen Ton ab, obwohl sie gar nicht angespielt werden. Manchmal muss der Organist dann ganze Register abschalten. „Holz arbeitet schließlich permanent“, sagt Thomas Braun. Und da eine Orgel hauptsächlich aus Holz bestehe, reagiere sie auf Veränderungen der Luftfeuchte.

Die meisten Stimmungsschwankungen der Orgeln im Kirchenkreis kann Reinhard Seeliger als Organist und Orgelsachverständiger selbst beheben. Für ihn ist es nicht ungewöhnlich, dass Orgeln besonders nach Witterungswechseln nachgestimmt werden müssen. „Aber so extrem wie nach diesem Sommer war der Wartungsbedarf unserer Orgeln noch nie“, sagt Seeliger.

Auch die Sonnenorgel in der Peterskirche habe mehr Zuspruch gebraucht als sonst, ebenso die Orgeln der Frauen- und der Dreifaltigkeitskirche. Genauso habe er in den weiter entfernten Orten des Kirchenkreises mehr nach dem Rechten schauen müssen als in anderen Jahren. Bis nach Reichwalde sei er geholt worden, weil Teile der Orgel nicht mehr funktionierten. Auch die Orgeln in den katholischen Kirchen des Bistums Görlitz haben vereinzelt Beeinträchtigungen davongetragen. Die meisten hätten den trockenen Sommer jedoch gut überstanden, sagt Diözesankirchenmusikdirektor Thomas Seyda, so auch die der St.-Jakobus-Kathedrale.

In der Evangelischen Kreuzkirche war sogar eine größere Reparatur der Orgel nötig, nachdem sie im August und September nur teilweise nutzbar war. Hier war die Windlade so stark beschädigt, dass das Hauptwerk der Orgel nicht verwendet werden konnte. Laut Pfarrer Albrecht Bönisch, zugleich Orgelsachverständiger, machte sich dieser Schaden auch früher schon bei klimatischen Veränderungen bemerkbar, etwa wenn am Heiligabend über 1600 Menschen für eine hohe Luftfeuchte in der Kreuzkirche sorgten. Die Sommerhitze habe jedoch in diesem Jahr zu einem längeren Ausfall geführt. Wie Seeliger sagt auch Pfarrer Bönisch: „So etwas gab es bisher noch nie.“

Andreas Neumann-Nochten, der vor allem in den Gottesdiensten der Hoffnungskirche in Königshufen die Orgel spielt, bestätigt ebenfalls, dass sich die Trockenheit auf die Orgel ausgewirkt habe. Wegen vieler Heuler habe er mehrere Register abschalten müssen. Er habe den Ausfall mithilfe anderer Register ausgeglichen und gehofft, dass den Gottesdienstbesuchern der Unterschied nicht auffalle. Auch Veronika Bienert, Organistin in der Görlitzer Adventgemeinde auf der Bautzener Straße, sagt, dieser Sommer sei schlimm gewesen. Die Orgel habe bereits gelitten, als Anfang des Jahres der Fußboden erneuert wurde, aber der Sommer habe nun sein Übriges getan. Auch bei dieser eher kleinen Orgel seien einige Register ausgefallen, ein Ton pfeife, obwohl sie versucht habe, die Luftfeuchtigkeit durch das Aufstellen von Wasserschüsseln zu regulieren. Demnächst müsse die Orgel einmal gestimmt werden.

Orgelbaufirmen wie Jehmlich haben entsprechend seit Wochen gut zu tun. Nicht nur Thomas Braun ist zurzeit häufiger im Einsatz, auch Astrid Zischank von der Nieskyer Orgelbaufirma Johannes Soldan sagt:. „Das Wort ‚Trocknungsschaden‘ ist seit dem Sommer in aller Munde. Ich kann mich an kein Jahr erinnern, in dem die Orgeln ähnlich gelitten haben wie in diesem.“ Die Firma habe betroffenen Gemeinden geraten, mithilfe nasser Tücher die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen, aber das habe nur selten etwas genützt, weil sich gerade in großen Kirchenräumen die Feuchtigkeit schnell verteile. Wenn es jetzt kühler und nicht mehr so trocken sei, erholten sich allerdings viele Orgeln von selbst. Die Orgel der Kirche in Förstgen, die Astrid Zischank selbst spielt, habe im Sommer vier Heuler gehabt, jetzt nur noch einen.

Über die wieder spielfähige Orgel der Evangelischen Kreuzkirche sagt Pfarrer Albrecht Bönisch: „Uns liegt sehr viel daran, dass die Orgel in einem guten Zustand ist.“ Deshalb seien in Zukunft weitere Reparaturmaßnahmen nötig.

In der Görlitzer Lutherkirche ist der Schaden zum Glück nicht ganz so gravierend, wie Reinhard Seeliger befürchtet hatte. Thomas Braun braucht den Fehler nicht lange zu suchen. Hinter einer der Orgeltüren angelt er zwei gebogene Metallstücke hervor. „Ist nur eine Feder an der Windlade gebrochen“, sagt er. Reinhard Seeliger ist erleichtert, dass nichts Größeres defekt ist und seinem Konzert am Reformationstag mit dem Cottbuser Hornisten Manfred Dippmann nichts im Wege steht, sondern sich die Besucher auf einen reinen Klang der Orgel freuen können.

Am 31. Oktober, 17 Uhr in der Görlitzer Lutherkirche: Festliche Musik zum Reformationstag mit Horn und Orgel