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„Opa war kein Nazi“

Nicht nur die Bundeswehr ringt mit ihrem geschichtlichem Erbe. Auch in der Gesellschaft herrscht weiter Unsicherheit im Umgang mit der Rolle der Wehrmacht während der NS-Zeit. Die Debatte wird heftig geführt.

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© dpa

Nico Pointner

Berlin. Helmut Schmidt hat einen eigenartigen Gesichtsausdruck auf dem Foto. Er steht in seiner Wehrmachtsuniform vor ein paar Bäumen, hält seine Handschuhe in der Hand und schaut vor sich auf den Boden, die Mundwinkel nach unten gezogen. Gequält wirkt er, fast weinerlich. Schmidt ist Leutnant der Luftwaffe, im Frühjahr 1940. Was er damals über den Krieg gedacht hat, weiß niemand genau. Jahrzehnte später bezeichnet der verstorbene Altkanzler seine Erfahrungen als „Kriegsscheiße“.

Nun wurde das Bild an der Bundeswehr-Uni in Hamburg abgehängt. Hintergrund: Im Zuge der Affäre um Rechtsextremismus in der Truppe entrümpelt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Traditionen in der Truppe. Sie spricht von „Säuberungen“, lässt derzeit jeden Stein umdrehen. Liegenschaften werden nach Andenken an die Wehrmacht durchsucht. Kasernen, die den Namen von umstrittenen Soldaten der Wehrmacht tragen, sollen nun umgetauft werden. Rechte Umtriebe sollen nicht geduldet werden unter Staatsbürgern in Uniform.

Das Abhängen des Schmidt-Bilds wurde nicht vom Ministerium verordnet, sondern geht auf eine Entscheidung der Bundeswehr-Uni zurück. Doch Kritiker werden von der Leyen trotzdem vor, über das Ziel hinauszuschießen. Der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) vergleicht das Abhängen des Altkanzler-Porträts mit einer „Hexenjagd“. CSU-Politiker Hans-Peter Uhl warnt im „Münchner Merkur“ vor einer „Pauschalverurteilung“. „Dies fordert die Achtung gegenüber unseren Vätern und Großvätern.“

Das Reinemachen in der Truppe hat eine politische Debatte losgetreten, die über den Skandal in der Bundeswehr hinausgeht. Denn auch die Gesellschaft tut sich noch schwer mit dem Erbe der Wehrmacht. In vielen Wohnzimmern hängen Bilder von toten Söhnen, Vätern, Onkeln in den Uniformen von Hitlers Armee. Die Ex-CDU-Abgeordnete Erika Steinbach bezeichnet Deutschland als „absolutes Irrenhaus“, ruft auf Twitter auf, Wehrmachtsfotos zu posten.

Die historische Forschung hält es für erwiesen, dass die Wehrmacht während der Nazi-Diktatur unter anderem in der damaligen Sowjetunion an Kriegsverbrechen gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilisten beteiligt war. Viel hat sich im Umgang mit der Wehrmacht in den vergangenen Jahren getan, erklärt Militärhistoriker Jochen Böhler.

Nach dem Krieg sei noch klar unterschieden worden zwischen einer sauberen Wehrmacht und einer schmutzigen SS. „Diese Lesart ist seit der Wehrmachtsausstellung passé.“ Die 1995 eröffnete, dem „Vernichtungskrieg“ im Osten gewidmete Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung hat über Jahre so hitzige Debatten und Gewalt ausgelöst wie kaum eine andere Ausstellung zuvor.

Dennoch halte sich der Mythos einer unschuldigen Wehrmacht immer noch. „Historische Bücher sind nicht in der Lage, ein gesellschaftliches Umdenken zu bewirken“, meint der Historiker. Erkenntnisse über Verbrechen der Wehrmacht seien für die meisten Menschen schwer mit familiären Erinnerungen in Einklang zu bringen. „Wie der Satz: „Opa war kein Nazi“ - es ist schwer zu akzeptieren, dass das in die eigene Familie reingedrungen ist. Das ist immer noch so.“ Das gebe es in jedem Land mit dunkler Vergangenheit und sei ein nachvollziehbarer Schutzmechanismus. Bei der Debatte handle es sich aber um eine Generationenfrage. „Die Fragen werden nach und nach in den Hintergrund treten“, sagt Böhler.

„Bilder von gefallenen Onkeln hängen auch bei mir“, sagt Jakob Knab. Er ist Sprecher der „Initiative gegen falsche Glorie“, kämpft seit Jahrzehnten für die Umbenennung von einigen Kasernen, die nach umstrittenen Wehrmachtssoldaten benannt sind. Der private Bereich müsse strikt von der öffentlichen Traditionspflege unterschieden werden. An Fotos von Verwandten im Wohnzimmer sei nichts auszusetzen. Für Porträts von Wehrmachtssoldaten im öffentlichen Raum schlägt er eine pragmatische Lösung vor: „Wenn man schon Haltung zeigen will, dann sollte man einfach die Hakenkreuze auf den Fotos abkleben.“

Auch Knab glaubt, dass die Debatte im Laufe der Zeit an Emotionalität verlieren wird. „Wir haben eine große Gleichgültigkeit, weil wir in einer postheroischen Gesellschaft leben“, sagt er. Wer heute das Wort Marseille höre, denke eben nicht mehr an den Jagdflieger Hans-Joachim Marseille, der lange wegen seiner vielen Abschüsse in Nordafrika in der nationalsozialistischen Propaganda als „Stern von Afrika“ glorifiziert wurde. Er denke heute an eine Hafenstadt in Südfrankreich. (dpa)