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Olympiavorbereitung im Ferienpark

Vier Dresdner Shorttracker sind Holländer auf Zeit. Die Geschichte eines ungewöhnlichen Umzugs.

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© Ronald Bonß

Von Alexander Hiller

Der Bos Park Bilthoven ist ein idyllisches Fleckchen für Ruhesuchende, Urlauber. Im Ferienpark in der Nähe von Utrecht könnte es in den nächsten Monaten unruhig werden. Vor allem morgens. Neue deutsche Untermieter müssen früh raus. Jeden Tag. Die vier Dresdner Anna Seidel, Bianca Walter, Christoph Schubert und Tom Rietzke sind zum Arbeiten in Holland. Für den Traum von Olympia.

Anna Seidel absolviert ihre Schulaufgaben künftig im Bungalow.
Anna Seidel absolviert ihre Schulaufgaben künftig im Bungalow. © Robert Michael
In diesem Haus lebt Bianca Walter jetzt sechs Monate. Der Bungalow hat keine Heizung, verfügt aber über einen elektrischen Ofen.
In diesem Haus lebt Bianca Walter jetzt sechs Monate. Der Bungalow hat keine Heizung, verfügt aber über einen elektrischen Ofen. © privat

Das Quartett ist Bestandteil der wohl ungewöhnlichsten Olympiavorbereitung deutscher Wintersportler auf die Spiele 2018 in Pyeongchang. Das Projekt ist aus der Not geboren. Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) hatte sich in einem langwierigen Prozess im Mai 2017 endgültig vom bisherigen Bundestrainer Miroslav Boyadzhiev getrennt. Dessen potenzielle Nachfolgerin Diana Scheibe brachte gerade ein Kind zur Welt, der Dresdner Coach Daniel Zetzsche (27) fühlte sich selbst noch nicht reif für die Aufgabe, übernimmt aber die Betreuung bei Wettkämpfen. Der Verband einigte sich mit der renommierten holländischen Trainerin Wilma Boomstra auf eine Zusammenarbeit bis zu den Olympischen Spielen – auf Honorarbasis. Das Problem: Boomstra ist im Nachbarland fest angestellte Trainerin an einem der drei Stützpunkte und damit an den Standort Utrecht gebunden. Wenn der Trainer nicht zu den Sportlern kommen kann, müssen die Sportler eben zur Trainerin – dachten sich die DESG-Entscheider.

Die sechs besten Deutschen, zu denen neben dem Dresdner Quartett die Münchener Felix Spiegel und Leon Kaufmann-Ludwig zählen, ziehen für sechs Monate in den Bos Park Bilthoven ein. Je zwei Sportler teilen sich einen Bungalow, der aus zwei Einzelzimmern besteht. Das kann man spartanisch nennen. Die Kosten, inklusive Fahrt- und Trainingskosten, übernimmt der Verband. „Wir haben nur die Ausgaben, die wir hier auch hätten. Für Essen, Freizeit und Ähnliches“, sagt Tom Rietzke. Der Verband investiert viel Geld in das ungewöhnliche Olympiaprojekt, wie viel genau, will die DESG auf Nachfrage nicht preisgeben.

Optimale Vorbereitung möglich

Beinahe skurril erscheint unter den heutigen Gesichtspunkten der Streit des Verbandes vor drei Jahren mit dem Eisschnellläufer Alexej Baumgärtner aus Chemnitz. Der inzwischen Zurückgetretene wollte sich einem niederländischen Privatteam anschließen. Dagegen wehrte sich die DESG mit Händen und Füßen. Jetzt passiert quasi das Gegenteil. „Die Rahmenbedingungen sind ganz andere. Das oberste Ziel ist Olympia, und dafür ist das Projekt Utrecht die beste Lösung, die wir in der kurzen Zeit finden konnten“, sagt DESG-Vizepräsident Uwe Rietzke, Vater von Tom. „Wir können uns mit dieser Lösung optimal auf Olympia vorbereiten“, glaubt Bianca Walter.

Keiner der deutschen Olympiaanwärter habe sich gegen die Variante gesträubt. „Wir hätten auch weiter in Deutschland trainieren können. Aber für uns war das die sinnvollste Möglichkeit“, versichert der 21-jährige Rietzke. Klubkollege Christoph Schubert (23) ergänzt: „Die Trainerin, die wir jetzt haben, ist für mich eine der weltbesten, wenn es um persönliche Analysen geht.“ Der Verband hat für die Fahrten einen neunsitzigen Bus gestellt. „Aber die Hinterbank müssen wir rausnehmen, damit unsere Räder, Eistaschen und Klamotten reinpassen“, erläutert die 27-jährige Walter. Knapp acht Stunden sind die Athleten von Dresden bis Utrecht unterwegs.

Der zeitlich begrenzte Umzug kam nur deshalb infrage, weil die Athleten beruflich ins deutsche Leistungssportsystem integriert sind. Schubert ist Sportsoldat, Walter in der Sportfördergruppe der Bundespolizei, Rietzke legt als Student ein Urlaubssemester ein. Nur Anna Seidel fällt da etwas aus dem Rahmen. Die 19-Jährige macht gerade am Sportgymnasium Dresden ihr Abitur. Doch auch für sie gibt es eine Lösung. „Ich habe mir Aufgaben bis zu unserem nächsten Heimat-Aufenthalt geholt. Da wir alle fünf, sechs Wochen für ein paar Tage in Dresden sind, erledige ich die Aufgaben in Utrecht und vergleiche sie dann hier zu Hause mit den Lehrern, schreibe Klausuren und bekomme neue Aufgaben“, schildert die erfolgreichste deutsche Eisflitzerin. „In problematischen Fächern kommen ab und zu Lehrer nach Utrecht. Ich habe ein gutes Gefühl, dass ich alles schaffen werde und bin dankbar, dass es mir meine Schule ermöglicht, die Utrecht-Chance wahrzunehmen“, sagt die 19-Jährige.

Die Nähe zur Familie fehlt

Ohnehin wirkt die Pendel-Variante nur nach außen hin auf den ersten Blick problematisch. „Wir müssen die Adresse natürlich bei der Nationalen Dopingagentur angeben, aber das machen wir ja immer“, sagt Bianca Walter. Um die Post sorgen sich derweil die Eltern oder Partner. Versichert sind die Athleten über den Verband beziehungsweise die Sporthilfe. „Wegen unserer zahlreichen Wettkämpfe im Ausland haben wir auch noch eine private Auslandskrankenversicherung“, erzählt Walter und ergänzt: „Klar ist das für jeden persönlich auch anders schwierig. Sportlich ist es aber das Beste, was uns jetzt passieren könnte.“

Der Verzicht auf persönliche und private Nähe trifft jedoch alle. „Für mich ist es schwierig, die Nähe zu meiner Freundin und meiner Familie fehlt. Ich bin ein Familienmensch. Man kann viel mit dem Team bereden, aber eben nicht alles. Aber es sind ja nur sechs Monate“, sagt Christoph Schubert. Danach haben die Urlauber im Bos Park Bilthoven auch früh wieder ihre Ruhe.