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Ohne Nachbarn

An der Hüttenstraße in Freital gibt es keine Anwohner – bis auf eine Familie. Sie hat die Entwicklung der Straße hautnah miterlebt.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Yvonne Popp

Freital. Als sein Großvater 1911 die kleine Schmiede von Meister Anton Döhnert übernahm, sei die Hüttenstraße nur ein Feldweg gewesen, erzählt Eberhard Zeis. Er ist der ehemalige Chef der Firma Schmiede und Stahlbau Zeis in Freital. Dem Geschäft habe das damals aber keinen Abbruch getan, so der Senior weiter. Denn die Bauern aus der Umgebung ließen in der kleinen Werkstatt an der Hüttenstraße 18, die damals noch die Bezeichnung „Hufbeschlag und Wagenbau“ trug, ihre Pferde beschlagen. Auch allerlei landwirtschaftliches Gerät, wie Eggen und Pflugschare konnte man dort schärfen oder reparieren lassen. Das Geschäft florierte und entwickelte sich stetig weiter – genau wie die Hüttenstraße. Aus dem Feldweg wurde eine feste Fahrbahn.

Seit jeher attraktiv für Gewerbetreibende, blieb die Hüttenstraße für Häuslebauer aber uninteressant. Neben den beiden Wohnhäusern der Familie Zeis, zwischen denen die alte Schmiede eingebettet ist, befanden sich lediglich zwei weitere Mehrfamilienhäuser an der Straße. Lange unbewohnt und ruinös wurden sie nach der Wende abgerissen. Und so sind die Zeisens heute die einzigen Anwohner.

Dagegen siedelten über die Jahre hinweg die verschiedene Fabriken entlang der Hüttenstraße, unter anderem eine Brauerei, das Plastmaschinenwerk und eine Polstermöbelfabrik, die sich „Die Tapezierer“ nannte und Gardinen für Schulgebäude produzierte. Während der DDR-Zeit dehnte sich das Gelände des Freitaler Edelstahlwerkes bis weit in den Osten der Döhlener Flur aus. Die Hüttenstraße wurde quasi vom Werk einverleibt und für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Erst im Jahr 2000 wurde sie wieder freigegeben, nun als Teil der neuen Umgehungsstraße.

„Bis dahin konnten die Kinder vor unserem Haus auf der Straße Federball spielen“, sagt Mandy Zeis. Die 47-Jährige ist die Frau vom aktuellen Chef der Firma Zeis, Matthias Zeis. Völlige Ruhe herrschte aber trotzdem nicht im Wohnhaus. Lachend erinnert sich Mandy Zeis daran, wie sie jedes Mal im Dachgeschoss die Gläser in der Anrichte festhalten musste, wenn unten die schweren Lkws, die das Edelstahlwerk belieferten, vorbeidonnerten. Vergaß man das, oder war gerade nicht zugegen, seien die Gläser tatsächlich aus dem Regal gefallen, berichtet sie. Schuld waren damals die großen Schlaglöcher in der Straße. Heute gibt es die nicht mehr.

Als ein Teil der Umgehungsstraße ist die Fahrbahn jetzt erheblich breiter und stabiler ausgebaut als die frühere. Geschirr klappert keines mehr in den Schränken von Familie Zeis. Und auch in der kleinen Schmiede ist es still geworden, denn nach dem Zusammenbruch der DDR hatte sich Eberhard Zeis umorientiert, sich auf Stahlbau und Schlosserarbeiten spezialisiert. Dazu verlegte er den Betrieb auf ein benachbartes Grundstück, das genügend Platz für eine große Werkhalle bot.

Arbeitsmäßig ist also Ruhe eingekehrt auf dem Grundstück an der Hüttenstraße, Hausnummer 18. Der Verkehrslärm aber ist geblieben.

„Morgens um fünf rollt der Berufsverkehr an. Dann wird es laut“, sagt Eberhard Zeis. Dank Schallschutzverglasung störe das zum Glück nicht weiter. An einen Umzug in stillere Gefilde habe die gesamte Familie nie gedacht. Warum auch, fragt der 69-Jährige. Nachts sei es doch ganz wunderbar still.