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Obdachlose schlafen im Großen Garten

Über 300 Menschen haben in Dresden keine Wohnung. Die Stadt will mit einem neuen Konzept helfen.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Jeden Morgen, wenn es langsam hell wird in der Stadt, wird es sichtbar: In Dresden gibt es Menschen, die keine Wohnung haben und im Freien schlafen. Was wird für diese Menschen getan, und wo gibt es die größten Probleme?

Wie viele Menschen ohne Zuhausegibt es aktuell in Dresden?

Der Stadt sind nach Angaben von Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) 313 Menschen bekannt, die wohnungslos sind. 2010 waren es noch hundert weniger. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein, viele scheuen den Kontakt mit Ämtern. Doch die Verwaltung erfasst nur diejenigen, die sich wohnungslos melden. Sie haben keine eigenen vier Wände, sondern in Wohnungen der Stadt leben. Die Zahl der Obdachlosen, also Menschen, die im Freien schlafen, kann nicht konkret beziffert werden. Laut Sozialpädagogen schlafen diese oft im Alaunpark, dem Großen Garten oder in der Heide.

Michael Schulz, Leiter der Wohnungslosenhilfe der Diakonie, sprach in einer Diskussionsveranstaltung der SPD am Donnerstagabend von rund 1 100 wohnungslosen Menschen, die in seine Beratungen kommen. Dennoch sind die Zahlen im Vergleich zu anderen Städten relativ gering. In Berlin gehen freie Träger von rund 30 000 Menschen ohne Wohnung aus, in Hamburg von rund 2 000.

Sind eher Männer oder Frauen betroffen?

Eindeutig Männer. Laut Kaufmann sind 81 Prozent der Bewohner der Übergangswohnnungen Männer. Ein ähnliches Bild zeichnet auch Michael Schulz von der Diakonie. „Unsere Klienten sind etwa zu zwei Dritteln männlich.“ Doch wo sind die Frauen? Laut Linken-Stadträtin Pia Barkow berichten Mitarbeiter aus Städten, in denen Wohnheime und Beratungsstellen speziell für Frauen existieren, wie etwa Kiel, Karlsruhe oder Stuttgart, dass Frauen mindestens genauso oft von Wohnungslosigkeit betroffen sind wie Männer. Sie würden es den Aussagen zufolge aber viel häufiger verbergen – entweder aus Scham oder aus Angst davor, auf der Straße angegriffen zu werden. Demnach versuchen Frauen bei Freundinnen unterzukommen oder blieben bei ihrem Partner, obwohl sie sich trennen wollten. Einige gingen auch Beziehungen mit Männern ein, um mit in deren Wohnung leben zu können. Diese Frauen fänden sich dann in unsicheren Wohnverhältnissen wieder, zum Teil spiele auch Gewalt eine Rolle. Auch in Dresden wird nun über spezielle Frauen-Angebote nachgedacht. „Rot-Grün-Rot wird sich der Entwicklung solcher Angebote annehmen“, so Barkow.

Was tut die Stadt aktuell für die Betroffenen?

Das Sozialamt hat ein neues Konzept zur Wohnungslosenhilfe entwickelt. Am 20. September soll es im Stadtrat diskutiert werden. Darin sind mehrere Dinge geplant. Zum einen sollen noch mehr Menschen von der Straße in die Einrichtungen geholt werden. Die Zahl der Übergangswohnungen soll in den nächsten Jahren erhöht werden. Zudem kommt mit dem Heim in Klotzsche auf der Straße Zur Wetterwarte ein Wohnheim für Betroffene dazu.

Für die Menschen, die in den anderen Heimen Probleme hatten, soll ein „Übernachtungshaus“ mit einem Tagestreff etabliert werden. 20 Plätze entstehen, eine Immobilie dafür gibt es noch nicht. „Hier sollen sich die Wohnungslosen duschen, Wäsche waschen und einen Schutzraum haben“, so Kaufmann. Kritiker wie Michael Hagedorn, Sozialarbeiter aus dem Wohnheim in der Hubertusstraße, befürchten, damit einen Brennpunkt mit Konfliktpotenzial unter den Bewohnern zu schaffen.

Was wird zur Prävention getan, um Obdachlosigkeit zu vermeiden?

Sowohl die Stadt als auch die freien Träger wollen vermeiden, dass es überhaupt zur Wohnungslosigkeit kommt. Das Sozialamt übernimmt auf Antrag die Miete von Menschen, die diese nicht mehr zahlen können. 2016 sprang das Amt in rund 100 Fällen mit rund 220 000 Euro ein. Auch Michael Schulz von der Diakonie betont, dass in die Beratungen nicht nur Menschen kommen können, die bereits auf der Straße stehen, sondern auch solche, die das Schlimmste befürchten.

Was tut die Politik für die Menschen ohne Wohnung?

Auch SPD-Stadtrat Vincent Drews setzt auf Prävention. Er will die Angebote der Sozialarbeiter, die die Menschen direkt auf der Straße beraten, weiter ausbauen. „Außerdem wollen wir einen Duschbus etablieren, wo sich die Menschen waschen können.“ Die CDU reichte einen Antrag zur Etablierung des „Housing-First-Konzeptes“ ein. Erst eine Wohnung für die Obdachlosen, dann die Hilfen, lautet der Ansatz. Das schlägt auch das Sozialamt vor.