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Nieskyer schauen in die Röhre

Die neue Straßenunterführung wird noch gebaut. Die Deutsche Bahn zeigt sie bereits und sorgt für großes Interesse.

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© Joachim Rehle

Von Steffen Gerhardt

Niesky. Niesky hat jetzt seinen Tunnel. In Beton gegossen führt er die Herbert-Balzer-Straße unter den Gleisen durch. Auch wenn es fachmännisch Straßenunterführung heißt, wird es wohl beim Wort Tunnel bleiben. Zumindest hörte man das Wort immer wieder beim Baustellenfest am Freitagnachmittag. Die Deutsche Bahn und die Stadt Niesky hatten die Bürger eingeladen, sich das Bauwerk in seiner noch nicht ganz vollendeten Form anzuschauen. „Ihr Interesse übersteigt unsere Erwartungen“, sagte Bahn-Projektleiter Ulrich Mölke in seinen Begrüßungsworten. Auch wenn es vorwiegend die älteren Nieskyer waren, die in die Betonröhre schauen wollten, so ließen sich in der Unterführung doch auch junge Gesichter blicken.

In einem Video und auf Aufstellern informiert die Deutsche Bahn über den gesamten Streckenausbau.
In einem Video und auf Aufstellern informiert die Deutsche Bahn über den gesamten Streckenausbau. © Joachim Rehle
Zum Baustellenfest gibt es Führungen an der Gleisanlage entlang bis hin zum Nieskyer Bahnhof.
Zum Baustellenfest gibt es Führungen an der Gleisanlage entlang bis hin zum Nieskyer Bahnhof. © Joachim Rehle
Hans-Jürgen Berg arbeitete 40 Jahre bei der Bahn. Mit der neuen Strecke kann er sich nicht anfreunden.
Hans-Jürgen Berg arbeitete 40 Jahre bei der Bahn. Mit der neuen Strecke kann er sich nicht anfreunden. © Joachim Rehle

So wie die der Familie Zentsch-Rudolph. Sie wohnt noch nicht lange in Niesky. Aber sie hat schon den Bau des Eisstadions mitverfolgt und nun interessiert es sie, was die Deutsche Bahn in Niesky baut. Vor allem Sohn Fabian ist es, der Baustellen besonders interessant findet aufgrund der vielen Maschinen und Geräte. „Im Vergleich zu früher ist diese Ecke nicht wiederzuerkennen“, sagt Mutter Doreen. Ihr Mann Alexsander lobt die Entscheidung, hier eine Unterführung zu bauen. „Denn an der Muskauer Straße wird man oft vor geschlossenen Schranken stehen“, vermutet er.

Ob das so sein wird, davon können sich die Nieskyer ab Ende Oktober überzeugen. Projektleiter Mölke stellte ihnen den weiteren bautechnischen Fahrplan vor. Zunächst soll die Oberleitung in Betrieb gehen. Das soll am kommenden Freitag passieren. Dann liegen 15 000 Volt über den Gleisen an. „Die Stromzufuhr ist notwendig, um die technischen Anlagen zu testen und Einstellungen vorzunehmen“, erläuterte Mölke. Eine „echte Eisenbahnlinie“ wird der Abschnitt Knappenrode – Grenze ab dem 29. Oktober. Dann sollen die ersten Züge rollen, und das zu Testzwecken auf der Niederschlesien Magistrale. Die Mess- und Probefahrten sollen bis Mitte November durchgeführt werden.

In dieser Zeit werden besondere Testzüge zum Einsatz kommen, die auch die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h fahren werden. Ab der zweiten Novemberhälfte sollen die Tests mit normalen Güter- und Personenzügen ihre Fortsetzung finden. Mit der Ruhe am Bahndamm ist es dann vorbei. Dann wird sich auch zeigen, ob die aufgestellten Schallschutzwände ihrem Namen alle Ehre machen. Denn den gestrigen Baustellentag nutzten auch Anwohner von der Bahnstrecke, um ihre Sorgen und Nöte mit dem Lärmschutz den Bahnverantwortlichen vorzutragen. Von ästhetischen Gestaltungswünschen der Bauelemente bis hin zu Sichtbehinderungen reichten die Anfragen. Ulrich Mölke betonte, dass die Planung der Schallschutzwände abgeschlossen und auf der Internetseite der Deutschen Bahn einsehbar ist. „Wo keine Betonlager gebaut sind, kommt auch keine Schallschutzwand hin“, brachte es Mölke auf den Punkt. Richtig losgehen soll es auf der elektrifizierten Strecke ab dem 10. Dezember. An diesem Tag erfolgt der Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn und der sogenannte Regelbetrieb beginnt zwischen Knappenrode und der Grenze. Bis dahin soll auch die Unterführung fertig sein.

Oberbürgermeisterin Beate Hoffmann sieht die Inbetriebnahme als einen ersten Schritt, um den ländlichen Raum verkehrstechnisch zu stärken. „Das hat nicht nur Bedeutung für die Unternehmen und das Gewerbe in unserer Stadt , sondern auch für die Menschen, die hier leben“, sagte sie auf dem Baustellenfest. Aber das Augenmerk muss dabei darauf gerichtet sein, dass die Menschen in den umliegenden Dörfern den Nieskyer Bahnhof erreichen können. Dazu zählen besonders die Buslinien von und nach Niesky, hob die Oberbürgermeisterin hervor.

Was die Deutsche Bahn bauen lässt, Hauptauftragnehmer ist das Bautzener Unternehmen Hentschke Bau, interessiert ebenso die Menschen, die bei der Bahn gearbeitet haben beziehungsweise dort beschäftigt sind. Ein „Bahner“ im Ruhestand ist Hans-Jürgen Berg. Ein Klittener, der 40 Jahre im Bahnhof seines Ortes gearbeitet hat, zuletzt als Fahrdienstleiter, und jetzt in Görlitz wohnt. „Es ist schon beeindruckend, was hier gebaut wird und was heute technisch möglich ist. Aber dieser Fortschritt darf nicht dazu führen, dass der Mensch sich in seinem Lebensraum einschränken muss.“ Das hätte Jürgen Berg tun müssen, wäre er im Ortsteil Jahmen geblieben: Für sein Grundstück ist keine Schutzwand gegen Lärm vorgesehen – wegen unvertretbar hohem Aufwand. So entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und forderte die Deutsche Bahn AG auf, dem Kläger sein Haus und Grund abkaufen zu fairen Konditionen. Sie wird es irgendwann abreißen wollen, wenn sich kein Käufer findet, sagt Berg, der damit seine Heimat dann endgültig verloren hat.