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Nicht jeder Fall aktenkundig?

Die Zahl extremistischer Straftaten in Mittelsachsen steigt. Darüber spricht die Kreisverwaltung in Döbeln nicht gern.

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© Jens Hoyer/Archiv

Von Verena Toth

Region Döbeln. Während Chemnitz aus den Schlagzeilen nicht herauskommt und die nationale wie internationale Presse mehr oder weniger zutreffende Analysen über Rechtsextremismus in Sachsen verfasst, wird in Mittelsachsen kaum öffentlich über dieses Thema gesprochen. Der Nachbarlandkreis von Chemnitz sei kein Schwerpunkt von Rechtsextremismus hatte Landrat Matthias Damm (CDU) noch im Juli festgestellt.

Unterdessen nehmen nun aber selbst ernannte Heimatschützer die angeblich brisante Lage in ihren mittelsächsischen Städten eigens in die Hand. Auch in den sozialen Netzwerken wird für die Region Döbeln zu Schutzzonen-Streifen aufgerufen. Mit Westen uniformierte sogenannte Nachbarschaftshelfer sind angeblich bereits in Döbeln und Roßwein patrouilliert. Bestätigt werden konnte das von der Polizeidirektion Chemnitz aber bislang nicht.

Mit der Stabsstelle Extremismusbekämpfung will der Landkreis vor allem Präventionsarbeit leisten. Nach längerer Krankheit hat die Leiterin der Extremismusbekämpfungsstelle, Katrin Dietze, ihre Arbeit wieder aufgenommen und den mittelsächsischen Kreisräten nun darüber Bericht erstattet. Rund 40 Projekte werden in diesem Jahr durch den Lokalen Aktionsplan „Toleranz ist ein Kinderspiel“ mit etwa 140 000 Euro unterstützt. Die Gelder stammen vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“, vom sächsischen Landespräventionsrat und dem Landkreis. Seit 2008 stehen für diese Aufgabe fast 50 Prozent mehr Mittel zur Verfügung, einst waren es noch 100 000, nun insgesamt 145 000 Euro.

„Dies zeigt auch die Bedeutung im Umgang mit dem Thema, mit dem sich Vereine, Verbände, Parteien und Kommunen auseinandersetzen“, erklärte Katrin Dietze. Ihre Arbeit erledige sie aber nicht „vom Schreibtisch aus“. Zu ihrem über Jahre aufgebauten Netzwerk zählten auch Ermittlungsbehörden wie Verfassungsschutz oder die Polizei. Jährlich finden sogenannte Demokratiekonferenzen statt, bei denen die Ziele des Lokalen Aktionsplanes überprüft und gegebenenfalls neu festgelegt werden. Teilnehmer sind Vereine oder Mitglieder des Lokalen Begleitausschusses, der unter anderem aus Behörden oder Kreisräten besteht. Aktuell lautet das Leitziel: „Die demokratische Kultur wird von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aktiv mitgestaltet.“

Über die tatsächliche herrschende Situation extremistischer Tendenzen, Gruppen oder Vorkommnisse im Landkreis spricht Katrin Dietze aber nicht. Einen Überblick dazu gibt der aktuelle Bericht des sächsischen Verfassungsschutzes. In Mittelsachsen sind demnach in den vergangenen vier Jahren jeweils mehr Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund verübt worden als noch 2013. Damals wurden im Kreis 133 Straftaten von Rechtsextremisten aktenkundig. 2014 waren es 156, 2015 insgesamt 177 und 2016 dann 172. Vergangenes Jahr verzeichneten die Behörden einen Rückgang auf 151 Fälle. Davon wurden sechs Fälle als Gewalttaten eingestuft. Im Landkreis zählt die rechtsextreme Szene dem Verfassungsschutz zufolge 200 bis 250 Mitglieder. Die Anzahl von Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund ist dem Bericht zufolge weitaus geringer. Registrierte man 2013 insgesamt 39 Taten in diesem Bereich, waren es im Folgejahr 43. 2015 wurden 31 Vorfälle erfasst, 2016 insgesamt 24 und im vergangenen Jahr 40. Das Aktionsniveau der autonomen Szene sei im Kreis gering.

In einem aktuellen Bericht der überregionalen Zeitung „Die Zeit“ und in der „Taz“ werden die offiziellen Zahlen jedoch angezweifelt. Demnach müssten Opferzahlen rechtsextremer Gewalt nach oben korrigiert werden, weil in vielen Fällen der fremdenfeindliche Hintergrund gar nicht statistisch erfasst werde. Erklärt wird das am Beispiel des Döbelner Brandstiftungsfalles, in dem eine 70-Jährige im Keller eines Mehrfamilienhauses mehrfach Feuer gelegt hat, um mutmaßlich einem iranischen Mitbewohner zu schaden. Nach dem letzten gelegten Brand 2017 war eine 85-jährige Frau ums Leben genkommen. Nachdem die mutmaßliche Täterin am Chemnitzer Landgericht im Frühjahr unter anderem wegen Brandstiftung mit Todesfolge zu neun Jahren Haft verurteilt worden ist, ging sie in Revision. Gestanden hatte die 70-Jährige den fremdenfeindlichen Hintergrund ihrere Taten nicht. Verurteilt wurde sie aufgrund von Indizienbeweisen. Der Bundesgerichtshof wird nun darüber entscheiden, ob der Fall erneut verhandelt werden muss.