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Neuer Unterricht stärkt Wir-Gefühl

Das erste Schuljahr, indem erste und zweite Klasse gemeinsam gelernt haben, ist vorüber. Am Ziel ist aber noch niemand.

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© Dietmar Thomas

Von Heike Heisig

Hartha. Mit über 60 Jahren hat Gersdorfs Grundschulleiter Jörg Keul schon einige Schuljahre zu Ende gebracht. Das Jetzige ist trotzdem etwas Besonderes. Denn zum ersten Mal haben Kinder der ersten und zweiten Klasse mit- und voneinander gelernt. Der sogenannte jahrgangsübergreifende Unterricht war die einzige Möglichkeit, die kleine Dorfschule mit viel zu wenigen Einschulungen pro Jahrgang am Leben zu erhalten. „Zugegeben“, sagt Jörg Keul, „anfangs waren auch wir Lehrer skeptisch.“ Doch inzwischen sei er der Überzeugung, dass der Weg richtig war und auch den Kindern guttut.

Diesen Rücklauf bekommt Klassenlehrerin Karin Helbig inzwischen auch von Eltern, die den Vergleich haben – also ein Kind, das einzeln jede Klassenstufe absolviert und ein weiteres, das jetzt in einer Mischklasse gelernt hat. Die Eltern staunten über das strukturierte Arbeiten. „Es gibt einen Wochenplan. Wer sich an einem Tag mal nicht so konzentrieren kann, muss sich am nächsten Tag ranhalten, um das Ziel zu erreichen“, veranschaulicht Karin Helbig. Sie hat die jetzigen Erst- und Zweitklässler als sehr fleißig und zielstrebig kennengelernt.

Als großes Plus an der neuen Unterrichtsmethode schätzen sowohl der Schulleiter als auch Karin Helbig, dass diese die Selbstständigkeit der Mädchen und Jungen fördert. Auch das haben die Eltern sehr wohl festgestellt. Denn die Kinder sind angehalten, sich selbst Lösungen zu erarbeiten. Dafür dürfen sie gern die Älteren fragen, für die der Lernstoff nichts Neues mehr ist. Im Gegenzug fühlen sich aber manche Zweitklässler angespornt, wenn ihre jüngeren Mitschüler mit Wissen glänzen, das sie selbst vielleicht noch nicht so gut draufhaben. „Mancher Stoff lässt sich gut in beiden Klassen vermitteln“, sagt Karin Helbig. Als Beispiel nennt sie die Uhr. Für die Größeren sei die Einführung bei den Jüngeren eine gute Wiederholung und Wissensfestigung.

In vielen Fächern können die Erst- und Zweitklässler sehr gut gemeinsam unterrichtet werden: Sport, Werken, Kunst und Musik beispielsweise. Auch das freie Schreiben klappt zusammen ganz gut. „In Sachkunde etwa sind wir noch dabei, passende Wege zu finden“, so die Klassenlehrerin. Dafür besuchten die Lehrer regelmäßig Weiterbildungen und tauschten sich bei Workshops mit Kollegen aus, die den jahrgangsübergreifenden Unterricht schon länger praktizieren. Dabei habe es zuletzt Impulse für den Religions- und Mathematikunterricht gegeben, ergänzt Jörg Keul. „Wir sind da wirklich noch in der Lernphase und müssen das Modell auch an die Gegebenheiten in unserer Schule – räumlich und von der Ausstattung her – anpassen“, sagt die Klassenlehrerin der 1/2.

Sie selbst hat sich übrigens trotz Rentenantritts in nicht allzu weiter Ferne mit der Konzeptänderung noch einmal einer neuen Herausforderung gestellt. Karin Helbig hat jahrzehntelang den sogenannten Frontalunterricht praktiziert. Der ist jetzt nur noch ein Teil des Lernens. Das freie Arbeiten der Schüler zu zweit und in Gruppen macht den anderen Teil aus. Das verlange auch den Lehrern ein hohes Maß an Konzentration ab. Trotzdem nickt Karin Helbig, als der Schulleiter überzeugt sagt: „Wir haben mit der Umstellung alles richtig gemacht.“ Für die Lehrer bedeute die Änderung genau wie für die Schüler ein permanentes Weiterlernen. Karin Helbig denkt, dass die Pädagogen etwa zehn Jahre brauchen, bis alles wie am Schnürchen läuft, alles ausgefeilt ist.

Die Findungsphase allerdings darf nicht zulasten der Schüler gehen. Das sei von vornherein klar gewesen. „Wir arbeiten leistungsorientiert und nach Lehrplan“, sagt die Klassenlehrerin. Darauf lege sie Wert. „Außerdem ist unsere Schule für ein gutes Lernniveau bekannt, das wollen wir auf jeden Fall halten.“

Im neuen Schuljahr wird es in Gersdorf wieder eine Klasse 1./2. mit 23 Schülern geben und eine dritte, die dann erst im Folgejahr wieder „Lernpartner“ bekommt. Dass die Schüler, die jahrgangsübergreifend unterrichtet werden, wegen ihrer hohen Sozialkompetenz und dem gewohnt selbstständigen Arbeiten sehr gut bis besser an den weiterführenden Schulen klarkommen, davon ist Jörg Keul überzeugt. Wer in Hartha weiterlerne, der treffe dort auf ein ähnliches Konzept mit Wochenplänen und gemeinsamem Lernen. Für den Schulleiter und auch für Karin Helbig ist es schön zu sehen, wie die Erst- und Zweitklässler im Laufe des Schuljahres zusammengefunden haben, ein schönes „Wir-Gefühl“ entstanden ist. „Das setzt sich nach anfänglicher Skepsis auch mehr und mehr bei den Eltern durch“, freut sich die Klassenlehrerin.