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Neue Pläne für alten Görlitzer Schlachthof

Ein junges Team plant ein Quartier zum Wohnen, Arbeiten und Einkaufen. 300 Menschen könnten hier leben.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Wer in den alten Schlachthof zieht, der braucht kein Auto mehr. In nächster Nähe soll es hier alles geben: Wohnungen, Büros, Werkstätten, einen Tante-Emma-Laden, ein Restaurant, einen Festsaal, ein Gesundheitszentrum – und sogar einen landwirtschaftlichen Betrieb, der den Laden und das Restaurant beliefert. Eine fünf Meter hohe Schallschutzwand grenzt das Areal von der lauten Christoph-Lüders-Straße ab. Solarthermie sorgt für Wärme, ein Brunnen und ein Regenwasserrückhalt für Wasser. Der bisher einzige Nutzer, der Club Nostromo, bleibt langfristig an seinem jetzigen Ort bestehen.

Dieses Gebäude soll als Bürgerhaus mit Tante-Emma-Laden und Restaurant im Zentrum des Quartiers stehen und die Grundversorgung übernehmen.
Dieses Gebäude soll als Bürgerhaus mit Tante-Emma-Laden und Restaurant im Zentrum des Quartiers stehen und die Grundversorgung übernehmen. © Pawel Sosnowski/80studio.net
© Grafik: SZ

So jedenfalls stellt sich Hans-Friedrich Bültmann die Zukunft der seit fast 20 Jahren zum Großteil ungenutzten Industriebrache in der Görlitzer Innenstadt vor. Der 68-Jährige war Architekt, Stadtplaner und Landschaftsökologe. Seit er Rentner ist, versteht er sich als Sozialplaner und unabhängiger Projektentwickler. Gleichzeitig ist er Geschäftsführer im Institut für Kommunal- und Umweltplanung (IKU). Aus seiner Heimatstadt Bielefeld bringt Bültmann zahlreiche Erfahrungen mit der erfolgreichen Entwicklung von Quartieren mit. Und er ist zuversichtlich, dass sich die im Laufe seines Berufslebens gesammelten Erfahrungen auf Görlitz übertragen lassen.

Darauf vertraut auch Franz-Josef Gausepohl. Er ist seit 2013 Geschäftsführer der Landeskrone Fleisch GmbH, der das 40 000 Quadratmeter große Schlachthofgelände noch immer gehört. Das entspricht fast sechs Fußballfeldern. „Ich will weiteren Leerstand vermeiden und versuche, die beste Möglichkeit für das Gelände zu finden“, sagt Gausepohl, der in Osnabrück sitzt. Gleich im Jahr 2013 habe er erste Gespräche mit der Stadt geführt, um herauszufinden, was möglich ist. Auch mit mehreren Projektentwicklern war er seither im Gespräch: „Denen ging es immer um Einkaufszentren.“ Bültmann war der Erste, der einen anderen Vorschlag hatte. „Seine Idee, das Areal kleinteilig zu entwickeln, gefällt mir“, sagt Gausepohl.

Dafür hat er Bültmann einen Generalauftrag gegeben – und finanziert ihn auch. Seit 2013, so Gausepohl, habe er bereits eine sechsstellige Summe für den Schlachthof in die Hand genommen. Bültmann selbst ist seit April dieses Jahres in Görlitz aktiv – und hat in dieser Zeit schon ein Team von 20 bis 30 jungen Görlitzern um sich geschart, die für die Idee brennen.

Allen voran Thomas Müller: Der 26-Jährige hat in Weimar Urbanistik studiert – gemeinsam mit Bültmanns Tochter Pia. So entstand der Kontakt. Mittlerweile hat Bültmann ein Büro am nahen Leipziger Platz eingerichtet und Thomas Müller zum Büroleiter gemacht. Die anderen arbeiten in klar abgegrenzten Arbeitsgruppen mit: Recht und Finanzen, Bürgerhaus, Gesundheitshaus, Landwirtschaft, Textil und Kunst/Kultur. Gleichzeitig laufen Gespräche in alle Richtungen. Bültmann will sämtliche Nachbarn von seinen Plänen begeistern. „Und wir hatten schon vier große Planungsrunden mit den Ämtern der Stadtverwaltung.“ Die Resonanz dort sei überaus positiv gewesen. Neben der Planung läuft auch schon die Umsetzung: Die jungen Leute haben inzwischen gute Teile des Schlachthof-Geländes entmüllt und gesichert sowie Wildwuchs beseitigt.

Ziel ist es, alle Gebäude zu erhalten, sogar den hohen Schornstein. Ergänzt werden soll das Gelände mit Neubauten in moderner Optik. Auch wenn viele junge Leute an den Plänen mitarbeiten: Das Areal ist für alle Generationen gedacht. „Es ist so klein, dass auch mit dem Rollator alles erreichbar ist“, so Bültmann. Prinzipiell liege der Fokus aber auf der Jugend: Sie soll sich hier wohl fühlen, eigene Ideen verwirklichen – und so in Görlitz gehalten werden oder hierher zurückkehren. Ein Stück weit gelingt das schon jetzt: Für Thomas Müller ist das Projekt die Chance, nach dem Studium wieder in der Heimat Fuß zu fassen. Und Heidi Mühle, die eigentlich dabei war, aus Görlitz wegzuziehen, bleibt nun hier. Sie leitet die AG Gesundheitshaus, wo sie später ihre eigene Praxis eröffnen will: „Meine Ziele sind ein interdisziplinäres Team und eine 24-Stunden-Betreuung für Kinder, alte und behinderte Menschen.“

Insgesamt könnten 300 Menschen hier leben, schätzt Bültmann. Vielleicht auch ein paar mehr oder weniger. Die jetzigen Pläne sind nicht in Stein gemeißelt, sondern flexibel veränderbar – so, wie sich Nutzer finden, die hier Flächen kaufen. Das nämlich ist das langfristige Ziel Gausepohls: Er will kleinteilig verkaufen und somit seine jetzigen Kosten wieder reinholen. Dass er damit nicht reich wird, ist ihm bewusst. „Wir wollen etwas anstoßen, was sich am Ende selbst trägt und nachhaltig positiv für die Stadt ist“, sagt er.

Auch einen Zeitplan gibt es nicht. Nach Aussage von Bültmann besteht keinerlei Zeitdruck. Alles soll nach und nach mit den jungen Nutzern wachsen und sich entwickeln. Trotzdem wünscht er sich, dass bereits nächstes Jahr die ersten Menschen einziehen können. Für die Planung hat er das renommierte Görlitzer Büro Noack + Noack Ingenieure beauftragt, denn die Leistungen sollen in der Stadt bleiben: „Das Büro wird demnächst die Bauvoranfrage bei der Stadt einreichen.“

www.iku-ug.de