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Neue Heimat für Reptilien

An der Viehleite in Pirna siedeln Zauneidechsen und der seltene Springfrosch. Für die Südumfahrung müssen sie umziehen.

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© Thomas Möckel

Von Thomas Möckel

Pirna. Plötzlich huscht etwas durchs vertrocknete Gras, ein Schatten nur, es raschelt leise. Frank Bittrich hockt sich hin, lautlos. Er schaut, sucht. Es raschelt wieder, Bittrich formt aus seinen Händen eine Art Glocke. Ansatzlos lässt er sie niederfahren, einmal, zweimal, dreimal, dann hebt er vorsichtig etwas auf, er hält es sanft zwischen Daumen und Zeigefinger. Es ist eine Zauneidechse, ein Jungtier, etwa drei Wochen alt, nur wenige Zentimeter lang.

Bittrich, Diplom-Ingenieur für Landschaftspflege, angestellt beim Dresdner Ingenieurbüro „MEP Plan“, ist so eine Art Reptilien-Umzugsbeauftragter. Er gibt den Tierchen unweit ihrer Heimat vorübergehend ein neues Zuhause. Sie dürfen nicht zu Schaden kommen, wenn in Kürze hier die Baufahrzeuge anrollen.

Bald wird eine über 900 Meter lange Brücke das Gottleubatal überspannen, sie ist Teil der neuen Pirnaer Südumfahrung, die Pfeiler im Tal sind über 60 Meter hoch. Und weil das gewaltige Bauvorhaben, mächtig in die Landschaft eingreift, müssen Planer und Ingenieure penibel auf den Naturschutz achten. Es gibt extra eine ökologische Baubegleitung, zuständig dafür ist Götz-Hagen Oeser vom gleichnamigen Ingenieurbüro aus Frankenberg. Oeser markierte schon die Brut- und Höhlenbäume, die in der Viehleite für die Baustraße und an den künftigen Pfeilerstandorten gefällt werden mussten. Und relativ spät ortete Oeser auf der Betonfläche hinter den Roten Kasernen an der Rottwerndorfer Straße und in der Viehleite zwei streng geschützte Tierarten: Zauneidechse und Springfrosch. „Bevor wir bauen können, müssen die Tiere umziehen“, sagt Ulrich Gawlas, Bauoberleiter der Südumfahrung.

Taktische Spielchen mit Eidechsen

MEP Plan ist nun der Umzugshelfer vor Ort. Um der Tierchen habhaft zu werden, wurde in der Viehleite und am Kohlberg ein mehrere Hundert Meter langer Reptilienschutzzaun aufgestellt, 50 Zentimeter hoch, aus dickem Kunststoff, er muss eine Weile halten. Die Mini-Barriere erfüllt eine Doppelfunktion: Sie erleichtert den Naturschützern, die Tiere einzusammeln. Und sie verhindert, dass sie wieder in den Baubereich zurückkehren. Alle paar Meter sind zudem Plastikeimer eingegraben, in die Zauneidechse und Springfrosch im Zweifel plumpsen. In der Regel sind die Eimer mit einem Deckel verschlossen, Bittrich öffnet sie nur, wenn er vor Ort ist. „Es wäre unverantwortlich, die Tiere länger als nötig in den Eimern zu lassen“, sagt er.

Zunächst war Bittrich hinter den Zauneidechsen her, die Abfangaktion ist nun fast zu Ende, das liegt einfach an der Aktivität der Reptilien. Etwa ab August, sagt der Ingenieur, verschwinden die Männchen schon ins Winterquartier, ab September folgen die Weibchen. Die Tiere anzutreffen, ist gar nicht so einfach. Zwar kommen die wechselwarmen Eidechsen bei Sonne gern raus, bei allzugroßer Hitze verziehen sie sich aber in ihre Quartiere. Regelmäßig beobachtet Bittrich das Wetter, um einen günstigen Zeitpunkt abzupassen.

Über 20 Eidechsen hat er schon eingefangen, alle mit der Hand, nachdem er sich mit den Tieren kleine taktische Spielchen liefert. „Es sieht manchmal etwas komisch aus, wenn man so auf dem Boden hinter den Tieren herumhüpft. Aber es ist effektiv“, sagt Bittrich. Auf dem Areal hat Bittrich auch einige Fallen aufstellen lassen. Ein Tüftler hat sie gebaut aus Plastik-Kabelkanälen, geht ein Tier hinein, lässt eine Feder die Klappen zuschnallen. Eidechsen hatte Bittrich am Fuße der Viehleite bislang nicht in den Fallen, dafür hin und wieder eine Maus.

Nobles Ersatzquartier

Die Fangaktion ist aufwendig, bei solch großen Bauvorhaben aber Pflicht. Damit die Tierchen aber überhaupt eingesammelt werden dürfen, brauchen die Sammler eine Genehmigung der Naturschutzbehörde, weil die Zauneidechse europaweit streng geschützt ist. Weit reisen müssen die Tierchen aber nicht.

Wenige Meter neben ihrem angestammten Quartier, außerhalb des Baufeldes, hat Oeser ein Ersatzquartier anlegen lassen. Fachleute hoben dafür eine Grube aus, 80 bis 100 Zentimeter tief, auf dem Boden ruht Flusssand, darüber grobes Gestein, zusätzlich kamen Baumstümpfe in das Loch. So entstehen Hohlräume, die den Eidechsen als Winterquartier und zur Eiablage dienen. Ist die Straße eines Tages fertig, bleibt von den Bauarbeiten nahe der Eidechsen-Kolonie nur ein Brückenpfeiler zurück. Dann verschwindet der Schutzzaun, die Tiere können wieder zurück in die alte Heimat – wenn sie angesichts ihres neuen schicken Domizils überhaupt noch wollen.

Für die Springfrösche geht die Reise hingegen ein wenig weiter, wenn man sie denn erwischt. „Sie sind sehr selten und zeigen sich nicht so gern“, sagt Gawlas. Um sie zu fangen, ist Bittrich auf ganz bestimmtes Wetter angewiesen. Die Springfrösche kommen erst aus ihrem Unterschlupf, wenn es sehr neblig ist oder regnet. Derzeit, sagt der Umzugshelfer, fange er jene Tiere ab, die aus ihren Sommerlebensräumen zurück zu ihren Winterverstecken ziehen. Und dann muss er hoffen, dass sie in die Eimer fallen und er sie einsammeln kann. Sie anderweitig zu fangen, ist schier unmöglich. Danach werden die Tiere an einen geheimen Ort etwas weiter entfernt gebracht, damit sie gar nicht erst in Versuchung kommen, während der Bauphase in ihr altes Quartier zurückzukehren. Mehrfach wird Bittrich in diesem Jahr noch nach den Eidechsen und den Springfröschen schauen. Und der Reptilienschutzzaun bleibt auf alle Fälle stehen – bis Pfeiler und Brücke fertig sind.