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Nestwärme für Klara

Das kleine Mädchen kann nicht bei ihrer Mutter leben. Sie hat eine Betreuungsfamilie gefunden und erfährt dort viel Liebe.

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© Daniel Schäfer

Von Mareike Huisinga

Pirna. Klara* ruft nach ihrer Mama. Doch die Mutter kommt nicht. Sie liegt auf dem Sofa, ist nicht ansprechbar. Klara stubst sie vorsichtig an, sie hört aber nur ein Murmeln. Dann geht die Zweieinhalbjährige in die Küche und wartet.

Eine Ersatzfamilie hat Klara bei der Eleonore und Matthias Schulz in Bad Gottleuba gefunden, nach dem das Jugendamt das kleine Mädchen in Obhut genommen hatte. „Die Mutter war überfordert, sie kann Klara und ihre anderen Kinder nicht versorgen“, berichtet Eleonore Schulz.

Als Klara im April in die Betreuungsfamilie zog, konnte sie kaum ein Wort sprechen. Jetzt redet sie munter und offen. „Mama schafft es nicht“, ist ein Satz, den sie oft wiederholt.

Bei ihrer Ersatzfamilie erfährt sie Liebe, Geborgenheit und Zuneigung. Der Tag beginnt und endet mit einer Kuschelrunde in den Armen von Eleonore Schulz. „Eine feste Tagestruktur ist für Klara ganz wichtig, das gibt ihr Halt und Orientierung“, weiß Matthias Schulz.

Nach dem Frühstück wird gespielt. Gerne besuchen Eleonore Schulz und Klara die Nachbarin, um die Schildkröte zu bewundern, oder Enten auf dem großen Teich zu füttern. Dann ist Mittagessen angesagt, es folgt eine Ruhepause.

Wenn Matthias Schulz nach der Arbeit nach Hause kommt, geht die Familie oft in den Wald, wo es für Klara immer viel zu entdecken gibt. Nach dem Abendessen wird noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen, dann knipst Eleonore Schulz das Licht in dem Kinderzimmer aus. „Schlafe gut und schöne Träume“, sagt sie und streicht der Kleinen nochmals liebevoll über das Haar. Da sind die müden Augen schon fast zugefallen.

Klara ist das 22. Kind, das das Ehepaar Schulz für eine gewisse Zeit im Rahmen der Bereitschaftsbetreuung bei sich aufnimmt. Alle kommen aus schwierigen Familienverhältnissen. „Wir möchten, dass sie merken, wie gut es tut, eine Familie zu spüren. Das ist ein wichtiger Grundstein für das ganze Leben und gibt Urvertrauen“, erklärt Matthias Schulz.

Auch Neugeborene, die gerade mal vier bzw. fünf Tage alt waren, hat Familie Schulz bei sich aufgenommen. Sie selber haben drei erwachsene Kinder und ein Enkelkind.

In diesem Moment stürmt die kleine Klara ins Wohnzimmer, um Eleonore Schulz stolz das Bild mit der roten Blume zu zeigen, das sie gerade gemalt hat. Dabei klettert sie auf den Schoß ihrer Ersatzmutter, die sie allerdings nicht Mama nennt, sondern Eleonore. Matthias Schulz erklärt: „Wir sind weder Mutter noch Vater oder Tante und Onkel.“

Alle 14 Tage sieht Klara ihre leibliche Mutter an einem neutralen Ort. Mit ihren Geschwistern trifft sie sich einmal in der Woche. Begleitet und organisiert werden diese Zusammenkünfte vom Fachdienst der Familiären Bereitschaftsbetreuung der Diakonie Pirna. Familie Schulz kennt die Hintergrunde und die Probleme von Klaras Mutter. Sie sind loyal. „Auch die Mutter hat ihre eigene Geschichte. Wir machen sie nicht schlecht oder äußern Schuldzuweisungen, dass würde Klara nur verunsichern.“ Eleonore Schulz überlegt einen Moment und sagt dann leise: „Aber es macht uns oft traurig und hilflos, zu sehen, welche Probleme einige Familie haben und welche Belastung daraus für deren Kinder resultiert.“

Beide Eheleute wissen, dass Klara sie wieder verlassen muss. In der Regel bleiben die Pflegekinder bei der Familie Schulz sieben Tage bis zu 14 Monaten. Es ist ein Abschied für immer, um dem Kind die Neuorientierung zu erleichtern. Ein schwerer Prozess des Loslassens. Er muss vorbereitet werden. „Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Wenn Klara geht, werden wir traurig sein, wie bei allen anderen“, sagt Matthias Schulz und schaut auf die Wand mit den vielen Fotos aller Kinder, die bei Schulz‘ schon ein gutes Zuhause gefunden haben. Keinen Namen, kein Gesicht hat er vergessen.

Zum Abschied gehört auch, dass Klara, ein Fotobuch bekommen wird. „Sie soll wissen, wo sie für eine Zeit gelebt hat, wer ihre Betreuungseltern waren. Dieser prägende Abschnitt in ihrem Leben ist wichtig und gehört zu ihrer Biografie“, erklärt Eleonore Schulz.

Noch ist es nicht so weit, dass Klara gehen muss, entweder zurück in ihre eigene Familie, in eine dauerhafte Pflegefamilie oder ins Jugendheim. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt. „Wir hoffen, dass sie gut behütet ist in ihrer neuen Lebensituation und werden oft an sie denken“, meint Matthias Schulz mit bewegter Stimme und schaut seine Frau ernst an. Sie nickt.

*Name von der Redaktion geändert.