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Nazi-Propaganda im Amtsblatt

Im Dorfblatt der Gemeinde Rosenthal-Bielatal erscheint ein Text über eine Sonnenwendfeier von 1938. Völlig unkommentiert.

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© Repro: SZ

Von Gunnar Klehm und Christian Eissner

Rosenthal-Bielatal. Bisher agierte Gemeinderat Thomas Winkler (Die Linke) immer ruhig und zurückhaltend. Doch diesmal kann er nicht mehr an sich halten. „Wir dürfen unsere Gemeinde nicht zum Acker für die Verharmlosung und Billigung nationalsozialistischer Ideologie machen lassen“, erklärt er in einem Schreiben an den Bürgermeister der Gemeinde Rosenthal-Bielatal, Gebhard Moritz (CDU). Ausgangspunkt ist ein Artikel im aktuellen Dorfblatt, dem Amtsblatt der Gemeinde.

Darin gibt es eine feste Rubrik namens „Klatsche“, in der Ortschronist Hans-Georg Hering seit vielen Jahren Texte über heimatgeschichtliche Themen schreibt. In der Juli-Ausgabe ging es zum Beispiel um frühere Feuerwachttürme bei Rosenthal. Im Juni war es eine Tiergeschichte von Kätzchen, einem Hasen und einem Maulwurf. Im aktuellen amtlichen Mitteilungsblatt greift er nun ein politisches Thema auf, die Sommersonnenwendfeier mit dem Grenzlandsingen vor Eiland 1938. Der Text ist eine Abschrift aus dem NSDAP-Blatt „Der Freiheitskampf“.

Die Sonnenwendfeier war ein propagandistisches Großereignis, an dem damals Hunderte Angehörige der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädel teilnahmen. Im etwa über eine halbe Seite abgedruckten Originaltext von 1938 wird beschrieben, wie die Sudetendeutschen von „jenseits der tschechischen Sperranlagen“ täglich „voller Sehnsucht und Hoffnung“ zur Hakenkreuzfahne schauen, die auf einem hohen Felsen an der Grenze weht. In blumiger Sprache erzählt der Beitrag aus der Dresdner NSDAP-Zeitung von einer nie da gewesenen Begeisterung und „Heim-ins-Reich“-Stimmung.

Auf jegliche Kommentierung wird bei dem Abdruck im Rosenthaler Dorfblatt verzichtet. Offenbar sollte sich jeder selbst seinen Reim auf den Text machen. Den Kritikern ist das zu banal – und zu gefährlich. Thomas Winkler ist nicht der Einzige, dem der unkommentierte Abdruck des Textes fürchterlich aufgestoßen ist. Beim Bürgermeister kamen mehrere Beschwerden an. Andererseits gibt es aber auch Menschen im Ort, die die Kritik als überzogen empfinden und dem Ortschronisten beistehen wollen. Hans-Georg Hering selbst sieht keine Veranlassung, sich dazu öffentlich zu äußern.

Einen ähnlichen Fall gab es bereits 2005. Da sah sich der Pirnaer Historiker Hugo Jensch genötigt, einen Brief an den damaligen Rosenthaler Bürgermeister Bernd Gottschald (CDU) zu schreiben. Es ging um die unkommentierte Wiedergabe von Zeitzeugenberichten vom Kriegsende im Dorfblatt. Eine Debatte dazu blieb aus.

Historische Quellen dürfen nicht unreflektiert bleiben. Darauf weist der Leiter des Pirnaer Stadtmuseums, René Misterek, hin. „Es gibt grundsätzlich keine Tabuthemen in der Geschichtsforschung, es ist auch gut, dass sich der Ortschronist mit der Zeit des Dritten Reiches beschäftigt.“ Was allerdings nicht passieren dürfe: dass man die Leser des Amtsblattes damit allein lässt. Der Originalbeitrag sei in einer NSDAP-Zeitung erschienen, zu einer Zeit, als die Okkupation Tschechiens vorbereitet wurde, ordnet Misterek ein. Sinn des Textes sei es nicht gewesen, die Sonnenwendfeier nüchtern abzubilden, sondern er diente Propagandazwecken. Deshalb müsse der Ortschronist das Nazi-Vokabular, wenn er es schon im Amtsblatt nachdrucke, zwingend für die Leser in den historischen Kontext einordnen. „Historische Erfahrungen müssen uns einfach prägen“, ärgert sich Misterek über die Veröffentlichung. „Mich wundert, dass auch die Redaktion des Amtsblattes damit so unkritisch umgeht.“

Idee eines Freundschaftstreffens

Zu denen, die sich über den Tenor des Artikels aus dem August-Blatt empören, gehört auch Klaus Fiedler von der SPD-AG Euroregion Elbe-Labe. „Im benachbarten Jihlove wird das auch gelesen. Wie die sich dabei wohl fühlen?“, fragt er. Fiedler hat nun die Idee an Bürgermeister Moritz herangetragen, auf zeitgemäße Art an die Ereignisse von damals zu erinnern. „Wie wäre es, wenn Rosenthal-Bielatal mit der tschechischen Partnergemeinde mal ein Freundschaftssonnenwendfeuer mit Gesang begehen würde?“, schrieb er an den Bürgermeister. Eine Antwort steht aus. Auch auf eine Anfrage der SZ hat der Bürgermeister nicht reagiert.

Gemeinderat Winkler hat eine Löschung des Artikels auf der Homepage der Gemeinde und eine Auswertung der Veröffentlichung gefordert. „Nach zehntägigem Druck engagierter Bürgerinnen und Bürger ist erreicht worden, dass der Artikel nicht mehr auf der Homepage zu lesen ist“, erklärt Winkler. Das Thema soll nun auch im Gemeinderat besprochen werden. Der nächste mögliche Termin wäre eine Ausschusssitzung am Dienstag, dem 11. September.