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Nähverrückte zum Anstecken gesucht

Nadine Weißbach hat ihre erste Karriere über Bord geworfen und setzt jetzt ganz auf Nadeln und Nähte. Mit einer App.

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© Christian Juppe

Von Henry Berndt

Sie kann sich nicht erinnern, wann sie sich zum letzten Mal ein Shirt gekauft hat. Oder ein Kleid. Oder eine Mütze. Nadine Weißbach setzt sich einfach an ihre Nähmaschine und schneidert sich ihre Wunschklamotten selbst. Ihr Stil: „schlicht und trotzdem detailverliebt mit einem Hauch von Vintage“. In der Regel ist das Nähen zwar nicht preiswerter und schon gar nicht zeitsparender als ein Besuch im Laden, aber das hat für die 30-Jährige nie gezählt. „Gerade wenn man als Frau sehr groß ist, ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil“, sagt sie. „Und es ist einfach ansteckend.“ Kein Wunder, dass ein neuer Näh-Hype in den vergangenen Jahren das ganze Land erfasst hat. Elbauf- und abwärts rattern Tag und Nacht die Nähmaschinen. Früher wurden so nur die Kinder und Enkel ungefragt eingekleidet. Inzwischen sind es auch die Ehemänner und Eltern.

So mancher mag das komisch finden, Nadines Manuel ist von der neuen Leidenschaft seiner Frau dagegen begeistert. Seit zehn Jahren sind die beiden ein Paar, erst vor wenigen Wochen haben sie geheiratet, und seit neuestem sind sie auch noch Geschäftspartner. Mitte Februar brachten die Dresdner eine App für alle Nähverrückten auf den Markt. Der kleine Helfer fürs Smartphone heißt „Näh ich mir“ und ist laut Aussage seiner Schöpfer das Schweizer Taschenmesser für alle, die nähen. Zumindest soll es das mit der Zeit werden.

Und auf einmal dreht sich im Leben von Nadine Weißbach alles um den Stoff, um Nadeln und Nähte. Dabei hat sie eigentlich mal Landschaftsarchitektur studiert und auch drei Jahre in diesem Beruf gearbeitet. „Glücklich geworden bin ich dabei aber nicht“, sagt sie. Statt ihre überbordende Kreativität ausleben zu können, mutierte sie unfreiwillig zum Papiertiger, der immer neue Gutachten erstellt. Im Februar 2016 zog sie einen Schlussstrich unter ihre erste Karriere und machte sich gemeinsam mit Manuel auf nach Australien. Reisen und arbeiten wollten sie dort acht Monate lang. Hauptsächlich reisten sie aber und hatten irgendwann endlich den Kopf frei, um über die Zeit nachzudenken, die sie zurück in Deutschland erwartet.

Etwa drei Jahr zuvor hatte Nadine das Nähen für sich entdeckt. Sie machte einen Kurs, nähte als erstes einen Stoffbeutel. Mit dem Selbstbewusstsein dieses Erfolgs kreierte sie schon bald ihre eigenen Kleider und Hosen. Mit diesem Talent musste sich doch was machen lassen. Eines Abends im Camper hatten sie und ihr Mann, ein Informatikfachmann und Doktorand an der TU, die Idee. Wir machen eine App! Schon bald hatten sie auch den richtigen Namen dafür im Kopf: „Näh ich mir“. Nadine trat von nun an unter dem Namen „Strickfrau“ in Erscheinung – ein Wortspiel mit ihrem Mädchennamen Wollmann.

Von diesem Moment an stand ihr Australientrip ganz im Zeichen dieses Projektes. Sie kauften sich ein gebrauchtes Tablet. Nadine machte sich daran, ein Konzept zu schreiben und Manuel programmierte schon mal drauf los. Als erste Funktion trugen sie eine Übersicht über alle Stoffläden in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen und hielten sie auf einer interaktiven Karte fest. Etwa 1700 Geschäften musste Nadine sich dafür widmen, ihr Angebot und ihre Öffnungszeiten erfassen. „Das war schon eine Menge Arbeit“, erinnert sie sich. Kein Wunder, dass von der Idee 2016 noch zwei Jahre vergingen, bis Mitte August die App zum Download bereitstand. Als weitere Funktionen fügten die Dresdner eine Übersicht über alle Stoffmärkte in der Region ein und eine Möglichkeit, die Konfektionsgrößen von Freunden und Familienmitgliedern immer bei sich zu haben.

„Wir haben noch fünf bis zehn weitere Ideen im Kopf, aber für den Anfang soll das erst mal genügen“, sagt Manuel, der für die App bislang um die 35 000 Seiten Quellcode programmiert hat. Auch Nadine schafft es die Woche über kaum noch selbst an die Nähmaschine. Dafür rattert sie dann auch schon mal das Wochenende durch.

In den ersten Tagen haben sich immerhin schon mehr als 1 000 Interessierte die App heruntergeladen. Die Nutzer können sich ein Profil anlegen, mit dem sie sich auch untereinander vernetzen können. Eine Art Näh-Facebook sozusagen. Und hier kommt der kleine Haken: Geld verdienen Nadine und Manuel mit dem kostenlosen und werbefreien Angebot zunächst keins. Glücklicherweise ist das aber nicht ihr einziges Standbein. Über die Website verkauft Nadine Druckvorlagen für Shirts und auch fertige Bügelbilder. Außerdem arbeitet sie noch in einem Dresdner Stoffladen. Manuel hat als Doktorand an der TU auch ohne Nähzeug eine 40-Stunden-Woche. Doch auch er weiß: Jetzt zählt es für ihre Idee. Ausruhen kommt später. Jetzt wird genäht.

www.naehichmir.de