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Nächstenliebe ohne Verfallsdatum

Ob als Erzieherin, Ehefrau, Freundin oder im Seniorentreff: Gutes zu tun gehört für Anita Zirnsack dazu. Und die 78-Jährige ist noch längst nicht fertig.

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© Claudia Hübschmann

Von Marcus Herrmann

Nossen. Darf es ein Glas Wasser oder eine Tasse Kaffee sein? Freundlich begrüßt Anita Zirnsack Gäste, die sie in ihrer Wohnung an der Waldheimer Straße in Nossen besuchen. Auch ein vermeintlich Fremder fühlt sich bei der Ruheständlerin mit den kurzen, dunkel gefärbten Haaren schnell wohl. Mit wachen Augen und ohne zu stocken kann die 78-Jährige aus ihrem Leben erzählen. Dass daraus ein Artikel in der SZ entsteht, ist ihr eigentlich unangenehm.

„Ich will nicht im Mittelpunkt stehen. Das muss nicht sein“, sagt sie. Doch sie macht eine Ausnahme. Denn was Zirnsack in den vergangenen 42 Jahren in der Muldenstadt geleistet hat, ist erzählenswert und wird viele Bewohner der Stadt freuen, die anerkennend ihren Namen nennen, wenn es um ehrenamtliches Engagement geht. Geboren 1939 im dörflichen Churschütz (heute zu Lommatzsch gehörig) arbeitet Zirnsack nach einer Ausbildung zunächst als Hortnerin, macht zwischen 1970 und 76 ein Fernstudium zur Hortnerin mit Lehrbefähigung in Radebeul. Weil ihre erste Station, die Schule in Neckanitz 1974 geschlossen wird, erhält sie durch das Studium das Rüstzeug an die Förderschule für Lernbehinderte nach Nossen zu wechseln. Hier kümmert sich die damals 35-Jährige um Schüler aus der Region, entwickelt ihre schon immer vorhandene soziale Kompetenz, Einfühlungsvermögen und Geduld mit dem Gegenüber weiter. Einundzwanzig Jahre verbringt Zirnsack an der Lehranstalt, steht 1995 plötzlich ohne Arbeit da, als auch diese Schule schließt. Mit ihrem Mann ist sie zu diesem Zeitpunkt schon 36 Jahre verheiratet, hat drei Kinder. Nun scheint der Vorruhestand eher als geplant an Zirnsacks Tür zu klopfen.

„Aber ich wollte und musste noch etwas tun, mich einbringen, für die Leute in meinem Umfeld aktiv sein“, sagt die Nossenerin. Da sie sich bereits seit den 1960er Jahren im Demokratischen Frauenbund engagierte, Vorträge und Veranstaltungen plante, wurde sie schnell für den Frauentreff in Nossen entdeckt. Die neue „Aktion 55“ für einen Seniorentreff sollte sie in die Hand nehmen. Was mit zwei bis drei Frauen in einem Raum hinter dem Rathaus beginnt, weitet sich in wenigen Jahren zu einem wöchentlichen Treff mit 20 bis 30 Frauen aus. Zirnsack kümmert sich bis 1999 sowohl um einen Seniorentreff als auch um den Frauentreff in der Stadt.

Während von dem Frauentreff nach der Jahrtausendwende nur eine Notvariante in Meißen übrigbleibt, halten Anita Zirnsack und Freundin Karin Weigelt den Seniorentreff am Leben. Heute existiert die Runde unter der Leitung der beiden Damen seit zehn Jahren. Einmal pro Woche trifft man sich für zwei Stunden zu Kaffee, Kuchen und Plausch im Rathaus, besucht Museen oder macht Spielnachmittage. „Wir sind momentan 21 Damen zwischen 75 und 91 Jahren“, erzählt Zirnsack, die ihr Ehrenamt mit viel Herzblut betreibt, es so lange wie möglich weiterführen möchte.

Wer die fitte ältere Dame erlebt, die zweimal pro Woche zum Sport geht und mit dem eigenen Auto unterwegs ist, sieht ein Ende noch lange nicht kommen.

„Die Gespräche mit den anderen Senioren, Ausflüge und gemeinsame Erlebnisse möchte ich nicht missen. Dafür ist mir jede Sekunde Arbeit wert“, sagt die fünffache Groß- und vierfache Urgroßmutter. Auch als sie ihren vor dreieinhalb Jahren verstorbenen Mann über viele Monate hat pflegen müssen, haben ihr die Treffen Halt und Mut gegeben. So wie in der nicht einfachen Zeit danach. Dass sie schon einige Jahre davor mehrmals in der Woche für eine hilfebedürftige Nachbarin und ihren Bruder gesorgt hatte, erwähnt Zirnsack nur beiläufig. Es macht deutlich: Geben ohne zu nehmen, ist für die 78-Jährige kein Buch mit sieben Siegeln, sondern eine Selbstverständlichkeit. Ausführlich darüber sprechen will sie nicht. Zirnsack macht lieber – und organisiert weiter. Zum Beispiel die nächste Ausfahrt für „ihre Senioren“. Zu den bisherigen Höhepunkten gehörten unter anderem der Leipziger Zoo, die Bundesgartenschau in Gera, das Winterdorf Seiffen oder der Fichtelberg. Weitere warten schon. Möglich machen das Menschen wie Anita Zirnsack – und ihr Ehrenamt.