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Nachtwächter entführt

Wolfgang Bieberstein, bekannt aus seinen Pirna-Stadtführungen als Nachtwächter, erlebt ein historisches Ereignis am eigenen Leib.

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© Marko Förster

Daniel Förster

Pirna. Pirnas Urgestein Wolfgang Bieberstein liebt es, außergewöhnliche Ideen umzusetzen: Am Montag ist der Mime des Pirn’schen Nachtwächters „entführt“ und ins Böhmische „verschleppt“ worden. Ganz freiwillig. Der Stadtführer und Pirna-Kenner, der vor drei Monaten seinen 70. Geburtstag feierte, hat sich am Morgen aufgemacht, um eine überlieferte authentische Begebenheit aus dem Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763) nachzuerleben, so wie es vor genau vor 260 Jahren einem seiner Vorfahren der Wächterzunft ergangen ist.

Im Juni 1758 – die Preußen hatten Sachsen besiegt – haben einige versprengte Österreicher, die eigentlich die Burg Sonnenstein erobern wollten, den Pirnaer Nachtwächter, der sie in einer Neumond-Nacht bemerkt hatte und Alarm schlagen wollte, geknebelt und gefesselt und mit nach Nordböhmen geschleppt. In Krupka (Graupen) sollte er für sie arbeiten. Da er sich jedoch dort überhaupt nicht auskannte, jagten die Österreicher ihn nach drei Tagen mit Schimpf und Schande davon. Sie gaben ihm einen Tritt und ließen ihn laufen, weiß Bieberstein aus der Überlieferung zu berichten. Interessant auch: Die Pirnaer hatten damals gar nicht gleich bemerkt, dass ihr Wachmann fehlte …

Die Geschichte habe ihn gereizt, am eigenen Leib zu empfinden, wie sich der Nachtwächter damals gefühlt haben muss. Analog der Historie ließ Wolfgang Bieberstein sich am Montagvormittag von einem Freund nach Krupka fahren. Mit einem zehn Kilo schweren Rucksack auf dem Rücken, in ziviler Kleidung und ausschließlich zu Fuß will er sich nun wieder nach Pirna durchschlagen.

Schöner Fakt am Rande: Pirnas Stadtführer hat beim Losfahren am Montag sein Handy zu Hause vergessen. Das macht das ganze Unterfangen noch authentischer …, sagt seine Frau Claudia.

Über 40 Kilometer Wegstrecke hatte Wolfgang Bieberstein vor sich. Unterwegs freut er sich auf Begegnungen mit Menschen und Geschichten, wie er sagte. Alles auf der Rückwanderung wollte er dem Zufall überlassen. „Ich hoffe, dass ich es mit zwei Tagesmärschen schaffe und am Dienstagabend wohlbehalten in meine Heimatstadt zurückkehre. Für die eine Nacht versuche ich, ein kostenloses Quartier zu bekommen, um zu nächtigen und mich auszuruhen.“