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Nachbarn fürchten Abriss ihrer Wohnungen

Die Hamburger Firma Revitalis baut gerade am Wettiner Platz. Daneben steht ein Haus, dessen Zukunft ungewiss ist.

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© René Meinig

Von Christoph Springer

Dresden. Die Sonne strahlt, es gibt Sekt und Bier gratis, ein Geschäftsmann zündet sich lächelnd eine dicke Zigarre an. Die Gäste im Hof der Adresse Wettiner Platz 1 sind bester Stimmung. Schließlich gilt es, ein Millionenprojekt zu feiern. Hier und an der Schweriner Straße baut die Firma Revitalis Real Estate aus Hamburg 177 Wohnungen, dazu ein Hotel mit 132 Zimmern, drei Läden und eine Tiefgarage mit 190 Stellplätzen. Es ist Richtfest, schon im Herbst kommenden Jahres sollen die ersten Mieter in den Neubau einziehen.

Werner Höse könnte einer davon sein. So hat der Rentner aus dem Nachbarhaus an der Alfred-Althus-Straße den Revitalis-Vorstand Thomas Cromm bei einer Einwohnerversammlung Anfang August verstanden. Höse ist nicht zum Feiern zumute, denn er hat auch gehört, was mit dem Haus, in dem er seit 20 Jahren lebt, passieren soll. Sanierung oder Umbau, auch ein Abriss ist nicht ausgeschlossen. Zugleich gab es auch eine Beruhigungspille für die Nachbarn. „In den nächsten zwei bis drei Jahren passiert erst mal nichts“, hat ihnen der Hamburger Investor versprochen.

„Ganz herzlich begrüße ich die Mieter und Nachbarn aus der Alfred-Althus-Straße“, richtet sich der Revitalis-Chef am Tag des Richtfestes an die Bewohner des Fünfgeschossers. Der wurde 1963 bezugsfertig. Er steht gleich hinter dem mit Folie verkleideten Bauzaun am Wettiner Platz. Dann vergleicht Cromm die Stadt Dresden mit dem Revitalis-Sitz Hamburg. „Beide haben die schöne Elbe und beide haben eine Fußballmannschaft mit durchwachsener Leistung.“

Mieter wollen kämpfen

Die Gäste freuen sich über den Witz. Höse und seine Nachbarn aus dem DDR-Bau um die Ecke können nicht mitlachen. „Der größte Teil der Mieter ist über 75 Jahre alt, für die ist das das Ende“, sagt der 78-Jährige zu den Abrissgerüchten. „Wir haben das Gefühl, dass wir wegsaniert werden sollen“, stellt er fest und gibt sich sogleich kämpferisch. „Ich werde nicht so ohne Weiteres ausziehen.“

Thomas Cromm lobt unterdessen den termingerechten und unfallfreien Bau und spricht dabei vom neuen Jakobiviertel. Der Name ist von der Kirche abgeleitet, die früher auf dem Wettiner Platz stand und den Krieg schwer beschädigt überstanden hat. 1953 wurde sie abgerissen. Der Name, den Cromm für das Projekt ausgewählt hat, lässt erahnen: Revitalis hat in der Nachbarschaft noch mehr vor, ist mit dem Neubau an der Schweriner Straße und am Wettiner Platz noch lange nicht am Ziel.

Auf Nachfrage winkt der 50-Jährige jedoch ab. Es gehe um einen Hauptwärmekanal und eine Starkstromleitung, für die noch eine Baustelle auf dem Grundstück an der Alfred-Althus-Straße eingerichtet werden muss, auf dem auch Werner Höse wohnt. Deshalb habe seine Firma dafür einen Erbpachtvertrag mit der Eigentümerin abgeschlossen. „Wir haben es nicht gekauft“, betont der Revitalis-Vorstand. Dass im Haus von Werner Höse bereits Wohnungen leer stehen und nicht mehr unbefristet vermietet werden, findet er aber nicht verkehrt. „Man entwickelt etwas besser, wenn es freigezogen ist.“

Was sich künftig zwischen Schweriner Straße und Freiberger Straße noch „entwickeln“ wird, kann auch Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne) nicht sagen. „Nachverdichtung“ sei da vielleicht möglich, sagt der Ressortchef für die Stadtentwicklung aus dem Rathaus. Das bedeutet, die Innenhöfe zwischen den vorhandenen Wohnblocks könnten noch bebaut werden, so wie in anderen Stadtteilen auch. Für das Haus an der Alfred-Althus-Straße lägen bisher keine Bauanfragen vor. „Da passiert erst mal nichts.“

Die Firma von Thomas Cromm gehört längst zu den Schwergewichten Dresden. Etwa 1 000 Wohnungen hat sie bereits gebaut oder lässt sie gerade hochziehen. Revitalis hat das Wiener Loch an der Prager Straße gefüllt, schließt derzeit die Baulücke am Wettiner Platz, will im November Richtfest feiern für den Neubau an der Ecke Schweriner Straße/Hertha-Lindner-Straße und bebaut den letzten freien Platz auf der Südseite des Altmarkts, gleich neben der Kreuzkirche.

Umzug in Sozialwohnungen

Dort entstehen auch Sozialwohnungen, hat Cromm Höse und dessen Nachbarn von der Alfred-Althus-Straße im August mit auf den Weg gegeben. „Wir müssen uns nur einen Wohnberechtigungsschein holen, hat er gesagt“, berichtete eine Frau aus dem Fünfgeschosser. Ihren Namen möchte sie lieber nicht nennen, sie fürchtet Ärger mit dem Bauunternehmer aus Hamburg. Seit 55 Jahren wohnt sie an der Alfred-Althus-Straße, das Kraftwerk gegenüber kennt sie noch – mit qualmenden Schloten und unter dem Spitznamen Panzerkreuzer Potemkin. Jetzt sind ihre Tage in der Wohnung am Kraftwerk gezählt, ist sie überzeugt. „In zwei bis drei Jahren werden wir rausgeschmissen.“