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Nach Feierabend ins Asylheim

Vor Kurzem wurde Una Rieß-Stadnik für ihr Engagement geehrt. In ihren Augen tut sie aber nur das Nötige.

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© Norbert Millauer

Von Ulrike Keller

Coswig. Kaum hat sich Una Rieß-Stadnik auf der großen Couch in dem kahlen WG-Wohnzimmer niedergelassen, füllt sich die Runde. Der erste Weg nach ihrer Arbeit im Reisebüro führt die Coswigerin immer auf die Köhlerstraße. Montags bis freitags ist das nach 19 Uhr, sonnabends nach 13 Uhr. Seit anderthalb Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich als Patin für die Bewohner der Neusörnewitzer Asylunterkunft.

Zurzeit betreut sie hier einen harten Kern von zehn Flüchtlingen. Darunter eine WG von afghanischen Männern, aber auch einige Syrer und Pakistani sowie ein Vater-Sohn-Gespann aus Afghanistan. Ayaz, wie der Sohnemann heißt, weicht ihr nicht von der Seite. Stolz berichtet der Neunjährige, dass seine Füße schon wieder gewachsen sind. Ein WG-Bewohner holt einen Brief in typisch grauem Ökopapier von Behörden herbei. Una Rieß-Stadnik erfasst mit einem Blick, was Sache ist. „Da rufen wir an und fahren hin“, sagt sie ruhig. „Hat das Sinn?“, fragt er unsicher. „Alles hat Sinn!“, macht sie Mut.

Bis auf einen einzigen haben alle Afghanen hier einen Negativbescheid auf ihren Asylantrag erhalten. „Die Gründe versteht man nicht“, sagt Una Rieß-Stadnik. „Das sind nur Textbausteine in der Begründung.“ Darum hat sie alle bei dem Schritt zur Klage am Verwaltungsgericht begleitet. „Da will ich auch noch mal mit den Jungs hin, damit sie als Zuschauer schon mal eine Verhandlung erleben und sich besser auf ihre eigene vorbereiten können.“

Die Männer auf der Köhlerstraße sind ihr dankbar. „Immer kommt sie uns besuchen“, sagt ein Mittvierziger. „Das Leben ist so langweilig für uns.“ Darum nutzt Una Rieß-Stadnik jede Gelegenheit, etwas mit ihnen zu unternehmen. Damit sie rauskommen. Unter Menschen sind. Selbst, als sie vor Kurzem für den David-Schmidt-Preis aufgestellt war, nahm sie drei ihrer Schützlinge mit zur Veranstaltung ins Radebeuler Lügenmuseum.

Vorgeschlagen hatte sie die Initiative Coswig – Ort der Vielfalt. „Ihr Engagement geht weit über das Normale hinaus“, sagt Sprecher Sven Böttger. Zum Beispiel habe sie einem Syrer eine Lageristenstelle im Rewe-Markt vermittelt. Und Ayaz habe sie zeitweise bei sich aufgenommen, während dessen Vater im Krankenhaus lag. Und später habe sie erreicht, dass der Junge aufgrund seiner angeborenen Augenkrankheit die Landesschule für Blinde und Sehbehinderte – Förderzentrum Chemnitz besuchen darf. Auch kümmerte sie sich mit darum, dass er nun jeden Tag aus Coswig abgeholt und wieder heimgebracht wird. „Sie hängt sich ungemein rein und bleibt dran“, sagt Sven Böttger. Die Nominierung sei einstimmig in der Arbeitsgemeinschaft Patenschaften beschlossen worden. Darin organisieren sich aktuell 31 Paten.

Una Rieß-Stadnik hatte davon nichts mitbekommen, weil sie oft gar nicht die Zeit hat, zu den AG-Treffen zu gehen. Sven Böttger informierte sie am Telefon, dass die Wahl der Initiative auf sie gefallen ist. „Ich habe mich geehrt gefühlt“, erinnert sie sich an diesen Moment.

Dass sie tatsächlich ausgezeichnet werden könnte, zog sie gar nicht weiter in Erwägung. „Ich war bei der Veranstaltung neugierig auf die anderen“, erzählt sie. Doch die Jury ehrte die Flüchtlingspatin für ihr überdurchschnittliches Engagement mit dem Sonderpreis der Hans-Böckler-Stiftung. Dabei handelt es sich in erster Linie um eine ideelle Anerkennung, die jedoch auch mit einem kleinen Preisgeld verbunden ist. Die Höhe weiß sie noch nicht.

Dass es ihren Schützlingen zugute kommt, steht für sie jedoch außer Frage. „Einige brauchen Schuhe“, sagt sie und lächelt Ayaz an.

Außerdem fallen ständig irgendwelche Kosten an. Einem der afghanischen Männer legte sie jüngst das Geld für ein Busticket aus. Er hatte im Odenwald Arbeit bei einem Landwirt gefunden und seine letzten Groschen in den Umzug investiert. Vor Ort schuftete er 78 Stunden pro Woche im Stall, mit dem Arbeitsvertrag aber hielt ihn sein Chef hin.

Als nach reichlich zwei Wochen noch nichts geklärt und kein Cent Unterstützung gezahlt war, holte Una Rieß-Stadnik ihn zurück. Wie sich im Nachhinein herausstellte, war es nicht das erste Mal, dass der Landwirt Flüchtlinge ohne Bezahlung beschäftigt. Das klärt die Flüchtlingspatin nun auf höherer Ebene.

Über ihr Engagement redet Una Rieß-Stadnik selbst wenig mit anderen. Einige in ihrem Umfeld gehen gegen Flüchtlinge auf die Straße. Ihnen erzählt sie manchmal von den einzelnen Schicksalen. Mehr nicht. Dass ihr so viel daran liegt zu helfen, erklärt sie sich mit ihrem Vati, der Sudetendeutscher war. Er erzählte oft, was er als Vertriebener erlebt und durchlitten hat. „Das hat mich geprägt“, sagt sie. „Er war sehr menschlich.“ Und damit ist er für sie Vorbild geworden.