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Müntefering: Beton ist ein moderner Baustoff

Franz Müntefering, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, hält das Thema Kündigungsschutz für „abgearbeitet“.

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Stört es Sie, als Betonkopf zu gelten, der die eigenen Reformer ausbremst?

Beton ist ein moderner Baustoff. So ein ganz solider Baustoff ist besser als Luftschlösser. Als Fraktionschef ist es meine Aufgabe, die 251 SPD-Abgeordneten rechtzeitig an alle Themen heranzuführen und sie ordentlich an der Meinungsbildung zu beteiligen. Dazu gehört auch die Zeit für die nötige Debatte.

Ist die Debatte um den Kündigungsschutz ein Luftschloss?

Bei der Flexibilisierung am Arbeitsmarkt haben wir eine ganze Menge gemacht. Plötzlich und unerwartet hat die Opposition das Thema Kündigungsschutz wieder erfunden. Das hat mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wenig zu tun. Es zielt nur darauf, die Gewerkschaften kampfunfähig zu machen. Wenn man das und den Flächentarif hinreichend zerdeppert hat, bleibt von der Macht der Gewerkschaften nichts übrig. Ich möchte das nicht. Die Idee, das Bündnis für Arbeit auf den einzelnen Betrieb zu beschränken, diese Ideologie der totalen Individualisierung des Arbeitsmarktes ist aus meiner Sicht eine Fehlleitung. Der Wohlstand in Deutschland basiert auf starken Arbeitgeber- und Arbeitnehmergruppen.

Kündigungsschutz-Ideen produziert auch Ihr Wirtschaftsministerium. Was gilt denn nun?

Mit unseren Hartz-Gesetzen haben wir bereits vieles getan: verlängerte befristete Arbeitsverhältnisse, neue Regelungen für Zeit- und Leiharbeit. Was jetzt beim Kündigungsschutz steht, muss man nicht mehr verändern. Vielleicht kann man noch mal über die Abfindungsproblematik sprechen. Ansonsten ist das Thema abgearbeitet.

Thema Gesundheit: Wird die SPD-Fraktion die paritätische Finanzierung aufgeben?

Ich gehe davon aus, dass es bei einer paritätischen Finanzierung für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt. Es ist ein solidarisches System. Die Vorstellung, möglichst weniger Geld da hineinzubringen, ist aus meiner Sicht falsch. Es muss bei uns allen ein Bewusstsein geben, dass die Krankenversicherung kein Sparklub ist. Nicht jeder kann wieder raushaben, was er einbezahlt hat. Die, die aus gesundheitlichen Gründen darauf angewiesen sind, müssen nämlich mehr rausbekommen, als sie eingezahlt haben.

Sollen Gesunde Bonus kriegen?

Meine Messlatte ist: Krankheit darf nicht bestraft werden. Die Idee, wer das ganze Jahr gesund geblieben ist, bekommt Beiträge wieder, halte ich für den falschen Weg. Das führt dazu, dass der Familienvater mit zwei Kindern sich im November überlegt, ob er zum Arzt geht. Man muss anspornen, gesund zu leben, aber die, die krank werden, nicht in solche Situationen bringen.

Warum wird die SPD-Fraktion als die größte Reform-Bremse wahrgenommen?

Die holzschnittartigen Zuordnungen akzeptiere ich nicht. Erneuerung muss der Hauptimpuls sein, aber alles muss mit der nötigen sozialen Sensibilität gemacht werden. Soziale Gerechtigkeit ist nicht die Alternative zur Erneuerung. Beides gehört zusammen. Ich kritisiere, dass in Teilen Deutschlands eine Reformitis ausgebrochen ist nach dem Motto: Wer am meisten zerdeppert, hat am meisten Recht. Die Herren Merz und Westerwelle wollen nichts anderes als die Gewerkschaften zerschlagen. Die agieren kalt und herzlos. Das hat nichts mehr von sozialer Marktwirtschaft.

Hat Wolfgang Clement auch die Reformitis?

Nein, ganz sicher nicht. Clement ist einer, der Tempo macht. Aber er bringt auch die nötige Sensibilität mit. In einer Mannschaft muss es Spieler geben, die nach vorn spielen und Tore schießen, und andere, die den Kasten hinten sauber halten. Wir sind ein Team.

Wann kommt ein kommunales Investitionsprogramm?

Es geht zuerst um die strukturellen Fragen: Wie kriegt man Stabilität in die Einnahmen der Kommunen? Ein klassisches Investprogramm würde sich mit der Konsolidierung des Haushaltes beißen. Aber wenn sich die Weltwirtschaftslage weiter verschärft, ein Irak-Krieg käme, würde man sich in Europa noch mal bewusst machen müssen, dass Maastricht nicht nur Stabilitäts-, sondern auch Wachstumspakt heißt. Wenn das Wachstum niedrig und die Verwerfungen groß sind, darf man nicht noch nachsparen.

Muss Maastricht korrigiert werden?

Da steht schon drin, dass es bei besonderen Ereignissen, bei nicht beeinflussbaren großen Veränderungen auf Zeit eine andere Auslegung geben kann. Da steht ja nicht nur die Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent drin. Auch andere europäische Länder werden im Frühjahr überlegen, die weltwirtschaftliche Lage nicht einfach hinzunehmen, sondern darauf zu reagieren. Ein Konflikt im Irak – den wir verhindern wollen – müsste möglicherweise eine Ankurbelung des Wachstums durch den Staat auslösen.

Über höhere Verschuldung?

Wir wollen die Nettokreditaufnahme bei 18,9 Milliarden Euro halten. Wenn das Wachstum aber unter ein Prozent sinkt, wird das ganz schwierig werden. Da werden wir nicht reinsparen, sondern akzeptieren müssen, dass mehr Schulden entstehen. Aber der erste Hebel für mehr Geld ist das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Wenn das auch im Bundesrat beschlossen würde, werden die Kommunen bis 2006 mit acht bis neun Milliarden Euro entlastet. Wir appellieren an die Union: Macht das mit, damit eure Länder und Städte , die ja diese Einnahmen längst erhoffen, auch wirklich das Geld bekommen.

Gespräch: Peter Heimann/Sven Siebert