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Mit Mut und Petticoat

Marita Linke eröffnet in einer Neugersdorfer Villa eine Boutique. Auch früher hatte das Haus schon mit Textilien zu tun.

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© Rafael Sampedro

Von Romy Kühr

Neugersdorf. Wenn das der alte Hoffmann wüsste! Die bekannte Neugersdorfer Fabrikantendynastie begründete im 19. Jahrhundert die Textilindustrie, die Neugersdorf bis heute prägt. Jetzt stapeln sich in einer Villa, die einst der Familie gehörte, Textilien in Regalen. Marita Linke eröffnet am heutigen Sonnabend in der Villa, unweit des Ausbildungszentrums, auf dessen Grundstück früher eine chemische Textilreinigung stand, eine Boutique. Das Besondere: hier gibt es vor allem Kleidung im Rock‘n‘Roll-Stil.

Marita Linke hat die Villa renoviert und eröffnet einen Laden.
Marita Linke hat die Villa renoviert und eröffnet einen Laden. © Rafael Sampedro

Eigentlich ist ihr Sohn schuld, dass die Mama nun im Fünfziger-Jahre-Kleid in einer schicken, weißen Villa steht. In einem wahren Mädchentraum zwischen Regalen mit Kleidern, Petticoats, Röcken, Blusen, Schuhen, Handtaschen.... Der 16-jährige Sohn von Marita Linke spielt in einer Rock‘n‘Roll-Band. Die Eltern ließen sich anstecken, Marita Linke und ihr Mann absolvierten einen Tanzkurs, sind heute aktiv beim Rock‘n‘Roll-Klub Bautzen. Doch passende Klamotten zu finden, sei schwer, sagt die Ebersbacherin. „Man muss bis Dresden oder auch nach Prag fahren“, erzählt sie aus eigener Erfahrung. Der Gedanke, einen eigenen Laden mit Kleidung für Rock’n’Roll-Fans zu eröffnen, trieb Marita Linke deshalb schon lange um. Sie war bereits selbstständig, führte viele Jahre ein Nagelstudio. Das gab sie aus gesundheitlichen Gründen zum vergangenen Jahresende auf. Die Idee mit dem Laden blieb.

Aber wo könnte ein geeigneter Standort im Oberland sein? Die Antwort fand Frau Linke eher zufällig vergangenen Herbst im Internet beim Durchstöbern von Immobilienanzeigen. Da war die Villa an der Hauptstraße 57 zum Verkauf angepriesen. Frau Linke machte einen Termin mit dem Makler – und war begeistert. „Ich war wie verzaubert, als wir hier durch die Räume gegangen sind“, schwärmt sie. Sofort begann es in ihrem Kopf zu arbeiten, sie richtete die Zimmer schon gedanklich ein. Bis sie das tatsächlich konnte, vergingen aber noch ein paar Monate. Ab Mitte Februar konnten sie und ihr Mann – einer der Inhaber der Neugersdorfer Kelterei Linke – dann loslegen. Schließlich musste das Gebäude aus dem Jahr 1885 auf Vordermann gebracht werden. Wie viele Villen in Neugersdorf ist sie ein Relikt aus der Hoch-Zeit der Textilindustrie. Zwar war das Gebäude relativ gut in Schuss, weil es bis zuletzt nicht komplett leer gestanden hatte. Umfangreich renoviert und umgebaut werden musste dennoch. Die neuen Eigentümer schliffen Fußböden ab, entfernten alte Farbe von Wänden und Decken, strichen alle Fenster neu. Vieles erledigten sie selbst, für Spezialarbeiten mussten Fachleute ran. Bei den Arbeiten kam so manch Historisches zutage. Unter dicken Farbschichten entdeckten die Eigentümer zum Beispiel Deckenmalereien, vermutlich aus der Bauzeit des Hauses. Sie entschieden sich, sie zu erhalten und nicht wieder zu überstreichen. „Das ist ein altes, historisches Haus. Das kann man ruhig sehen“, sagt Marita Linke.

So entstanden im Erdgeschoss der herrschaftlichen Villa ein Damen- und ein Herrenzimmer, in dem Kleider ausgesucht und anprobiert werden können. Oben werden zwei Wohnungen eingerichtet. Und weil das Erdgeschoss noch ein drittes Zimmer hat, richtete Frau Linke ein kleines Café ein. Dort will sie auch selbst hinterm Tresen stehen – und besuchte extra ein Barista-Seminar, um das Zubereiten verschiedener Kaffeespezialitäten zu lernen. Zu Kaffee, speziellen Bieren aus der Flasche und anderen Getränken gibt‘s kleine Törtchen und süße Teilchen, so der Plan der Unternehmerin. Sie freut sich schon darauf, auf der lauschigen Terrasse mit Blick in den grünen Garten der Villa den ersten Kaffee zu servieren. Dass auch andere der vielen historischen Villen in Neugersdorf wieder genutzt werden und nicht verfallen – das wünscht sich die Neu-Villenbesitzerin. „Neugersdorf hat in dieser Hinsicht so viel zu bieten, es wäre schade, wenn das nicht erhalten würde.“ Sie spielt damit auch auf die Villa nahe dem Bahnhof an, die vor gut einem halben Jahr brannte.

Für die Zukunft ihres eigenen Hauses ist sie jetzt guter Dinge. Rock‘n‘Roll und Rockabilly – also der Mode- und Lebenstil der 1950er und -60er Jahre – sind im Kommen in der Oberlausitz, die Szene wächst. Auch deshalb ist Marita Linke von ihrer Idee überzeugt. Die Kleidungsstücke, die sie bei Händlern in England und Essen bestellt, eignen sich außerdem durchaus auch für den Alltag. „Es gibt bei mir nicht nur Petticoat-Kleider.“ Die Ladenbesitzerin setzt dabei ganz bewusst auf den stationären Handel, statt aufs Online-Geschäft. Anprobieren, beraten, stöbern – das gehört für sie einfach dazu. „Und ich möchte, dass die Leute ins Gespräch kommen, dass man sich trifft, miteinander redet.“

Martl’s Boutique, Hauptstraße 57 in Neugersdorf, Eröffnung: 10. Juni, ab 10 Uhr