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Mit 40 Sachen auf Rollen über den Asphalt

Vor 50 Jahren ist Großenhain erstmals Ausrichter der deutschen Meisterschaft – ein Sieger erinnert sich.

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Von Michaela Widder

Der Name zieht. Claudia Pechstein ist die prominenteste Sportlerin bei der deutschen Meisterschaft im Speedskating. Nein, die fünffache Eisschnelllauf-Olympiasiegerin wird keine Runden auf der Großenhainer Bahn drehen, obwohl sie auch auf vier Rollen schnell unterwegs ist. Die 45-Jährige gibt am Sonntag eine Autogrammstunde. Pechstein gehört zu den Ehrengästen, die der Verein zu seinem kleinen Jubiläum eingeladen hat.

Altmeister Werner Kowatsch.
Altmeister Werner Kowatsch. © Robert Michael
Die grün-schwarzen Rollschuhe von Werner Kowatsch sind 53 Jahre alt.
Die grün-schwarzen Rollschuhe von Werner Kowatsch sind 53 Jahre alt. © privat
Zu den Länderkämpfen 1967 und 1971 kamen Tausende Zuschauer nach Großenhain.
Zu den Länderkämpfen 1967 und 1971 kamen Tausende Zuschauer nach Großenhain. © privat
Sein Meisterschaftssilber von 1968.
Sein Meisterschaftssilber von 1968. © privat

Vor 50 Jahren war Großenhain erstmals Ausrichter einer deutschen Meisterschaft, damals noch auf klassischen Rollschuhen. Einer der erfolgreichsten Athleten war Werner Kowatsch, der sich die Rundenhatz im Husarenpark diesmal zusammen mit seiner Frau Brigitte als Ehrengast anschaut.

Der 72-Jährige gewann 1968 den Titel über 10 000 Meter sowie Silber über 1 000 und 5 000 Meter. Er erlebte die Anfänge der Sportart in Großenhain mit, als es noch nicht mal eine Bahn gab. Im Kulturraum des Dampfhammerwerks liefen 1961 ein paar Sportler zur Demonstration eine Saalrunde auf Rollschuhen, ein Jahr später lieh er sich sein erstes Paar aus. „Ich war von Beginn an begeistert. Fußball kann jeder, das war was anderes“, erzählt Kowatsch. Weil er ein guter Schlittschuhläufer war, stellte sich der damals 17-Jährige auch auf Rollen geschickt an. Zum Training ging es auf die Straße, der Trainer saß im Seitenwagengespann und schwenkte die rote Flagge.

Einen Kraftraum hatten sie nicht, schinden mussten sich die Athleten trotzdem. Kowatsch erinnert sich an einen Test, bei dem er gefühlt tausend Kniebeuge mit einem 10-Kilo-Sandsack machen musste. „Ohne Pause“, betont er. Besser wurden die Trainingsbedingungen mit der 1966 eingeweihten Bahn. Das nach italienischem Vorbild mit überhöhten Kurven gebaute Oval galt als modernste Anlage im gesamten Deutschland, in der DDR war es die erste.

Als Sportoffizier der Volksarmee konnte er täglich trainieren, gehörte zur Auswahl. Seine Höhepunkte waren die Länderkämpfe in Großenhain – 1967 mit Belgien und Frankreich und 1971 außerdem noch mit Italien. Doch schon die erste internationale Begegnung war für die DDR-Sportler auch deprimierend. „Mit unseren schwarzen Hartgummirollen, die viel zu schwer waren und keine Griffigkeit hatten, waren wir chancenlos.“ Die Konkurrenz fuhr auf ihren leichten Holzrollen den DDR-Athleten davon. Daraufhin wurde emsig getüftelt. Für die Unterplatte wurde Duralminium – ein leichtes Material aus dem Flugzeugbau – verwendet. Leichte Holzrollen wurden gedreht, alles Marke Eigenbau. „Die Materialfrage war schon damals eine Wissenschaft“, meint Kowatsch. Als dreifacher deutscher Meister feierte er 1970 in Großenhain seine größten Erfolge, ein Jahr später beendete er seine Karriere.

Allmählich ging es mit seinem Sport bergab. 1973 wurden internationale Beziehungen im Rollschnelllauf von der DDR-Sportführung eingestellt und fortan nur noch auf olympische Sportarten gesetzt.

Als Anfang der 90er-Jahre auf die noch heute gebräuchlichen Inlineskates gewechselt wurde, hatte Kowatsch keinerlei Ambitionen, sich darin auszuprobieren. In Großenhain dauerte es mehr als zehn Jahre, bis sich Athleten wieder für internationale Einsätze empfehlen konnten. Da die Bahn mit ihren engen Kurven für die immer schneller werdenden Speedskater auch zunehmend Gefahren barg, entstand 2013 im Sportpark eine neue Anlage.

Mit dem 200-Meter-Oval kamen auch die Erfolge zurück. Elisabeth Baier gewann in den vergangenen fünf Jahren drei EM-Titel und bei der WM 2016 im chinesischen Nanjing Bronze. Sie startet auch bei den nationalen Titelkämpfen am Wochenende in Großenhain, wo insgesamt 241 Sportler aus rund 40 Vereinen zu Gast sind. Über hundert Läufe werden in den verschiedenen Altersklassen ausgetragen. Der Internetsender Sportdeutschland.TV überträgt die Rennen an beiden Tagen live.

Die Sprints, die es zu Kowatschs Zeiten noch nicht im Programm gab, gehören zu den spektakulärsten Wettbewerben. Die Läufer erreichen dort Spitzengeschwindigkeiten bis zu 50 Kilometer pro Stunde. „Wir sind damals immerhin auf 40 km/h gekommen, und wir hatten keinen Helm und keine Knieschützer“, meint der Rentner aus Bannewitz. Trotzdem gingen seine Stürze glimpflich aus.