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„Mir liegt es fern, die Sachsen vorzuführen“

Über Frust in der sächsischen Provinz hat Lukas Rietzschel aus Görlitz einen Roman geschrieben. Seine Lesung in Bautzen stößt auf großes Interesse.

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© Carmen Schumann

Von Carmen Schumann

Bautzen. Dieses Buch trifft den Nerv der Zeit. „Mit der Faust in die Welt schlagen“ des 1994 geborenen Autors Lukas Rietzschel ruft viel Beachtung in Ost und West hervor. Auch die Bautzener waren neugierig auf den jungen Schriftsteller, der in ihrem Landkreis, nämlich in Räckelwitz geboren wurde. Nur gut, dass am Sonntag der Große Saal des Burgtheaters zur Verfügung stand, denn der eigentlich für die Reihe „Literatur vorMittag“ vorgesehene Kleine Saal mit seinen rund 80 Plätzen konnte die vielen Interessenten gar nicht fassen. Am Ende lauschten rund 150 Zuhörer der Lesung von Lukas Rietzschel.

Der Roman spielt im Zeitraum zwischen 2000 und 2015 in dem fiktiven Ort Neschwitz, der mit dem wirklichen Neschwitz nichts zu tun hat, wie der Autor versicherte. Und auch die Figuren seien alle erfunden. Schließlich kann er sich als Schriftsteller auf seine dichterische Freiheit berufen. Doch er hat seinen Figuren gut „aufs Maul geschaut“, um mit Luther zu sprechen. Einige Zuhörer zeigten sich im Anschluss an die Lesung geschockt über das Verhalten der männlichen Protagonisten. Wie Lukas Rietzschel erklärte, resultiert dies daraus, dass vor allem junge Frauen in den zurückliegenden Jahren aus dem ländlichen Raum weggezogen sind. Zurück geblieben sei eine männlich dominierte Gesellschaft, in der Gewalt wieder zum legitimen Mittel werde, vor allem, wenn das weibliche Korrektiv fehle. Er sehe auch einen Zusammenhang zwischen dieser männlich dominierten Gesellschaft und konservativem Wählerverhalten.

Dennoch liege es ihm fern, diese Typen vorzuführen. „Ich habe für alle diese Figuren ein Herz“, sagte er. Es seien Menschen, die ihren Platz in der Welt suchten. Und es sei nicht von der Hand zu weisen, dass die Kinder-Biografien eng mit den Biografien ihrer Eltern und Großeltern verknüpft sind. Diese hatten nach der Wende das Gefühl, wieder ganz von vorn, beim Punkt Null anfangen zu müssen.

Bei seinen Lesungen in den alten Bundesländern hätten ihm die Leute gesagt: „Das wussten wir so nicht“. Sie hätten durch sein Buch einen emotionalen Zugang zu den Befindlichkeiten der Ostdeutschen gefunden. Deshalb sei er stolz darauf, mit dazu beitragen zu können, dass sich etwas zum Positiven ändert. Obwohl er schon Ideen für ein zweites Buch habe, werde er wohl so schnell nicht dazu kommen, es zu schreiben. Denn neben weiteren Lesungen wartet auf ihn die Mitarbeit daran, sein Werk auf die Bühne des Dresdner Staatsschauspiels zu bringen.