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Milchmann, Kneipen und Musik

Für viele ist Freitals Poisentalstraße vor allem laut. Günter Plogsties dagegen kennt Angenehmes – und sogar eine Hymne.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Dorit Oehme

Freital. Er war Anfang 30. Jeden Donnerstag klingelten zwei Sänger des Männerchores Poisental an seinem Tor. „Sie waren auf dem Weg zur Probe. Mich warben sie erwartungsvoll. So gab ich schließlich auf und ging mit“, erzählt Günter Plogsties und lacht. Unterwegs stießen weitere Sänger hinzu. Die Truppe weihte ihn bald in die Geschichte der Poisentalstraße ein. Auch wo einst Kneipen und Gasthäuser waren, erfuhr er. Von 1970 an lebte Günter Plog-sties fast vier Jahrzehnte in der Siedlung kurz vorm Ortsausgang Freital in Richtung Possendorf. Inzwischen ist er in Freital-Hainsberg zu Hause. Doch der 75-Jährige blickt gern zurück.

„Ein großer Teil der Sänger kam von der Poisentalstraße. Viele Gewerbetreibende waren darunter, auch einzelne Bergleute.“ Der Einzugsbereich des Männerchores ist gewachsen. Die Vereinshymne „Mein Poisental“ verbindet. 1861 wurde der Männergesangsverein Silberblick im Ratskeller Niederhäslich gegründet. Aus ihm ging 1952 der Männerchor Poisental hervor. Im Domizil an der Rudeltstraße 1 sorgt Ursula Berndt als gute Seele für die Pausenversorgung und die Vereinsräume. Ihr Mann Fritz war Chorsänger, lebt aber nicht mehr.

Die agile 77-Jährige ist auch in ihrer Gymnastikgruppe in der Turnhalle der Grundschule Poisental aktiv. Im Haus neben der Schule wiederum ist sie geboren und aufgewachsen. Ihr Vater hatte einen Kohlenhandel. „In der Poisentalstraße gab es viele Geschäfte. Ich musste als Kind regelmäßig in jedem einkaufen, denn es waren unsere Kunden“, erzählt sie. Es gab etliche Bäcker und Fleischer sowie Lebensmittelläden. Auch Papierwaren, Textilien, Schuhe, Glaswaren, Geschirr und anderes konnte man bekommen. „Es waren viele Fußgänger unterwegs, man grüßte sich.“

Ein Bus fuhr schon von Freital in Richtung Possendorf. Die erste Haltestelle befand sich anfangs erst kurz nach dem Gasthof Poisental. Im kleinen Saal des Gasthofes wurden Puppenspiele aufgeführt, später Kinofilme. Bis in die 1990er gab es Tanz, Faschings- und Silvesterveranstaltungen. „Es war eine gute Dorfgemeinschaft“, schwärmt Ursula Berndt.

An der Poisentalstraße fällt in der Nähe die einstige Niederhäslicher Mühle mit ihrem Fachwerk auf, ein Gebäude der Firma „Kupfer-Ecke“. Der Verkehr hat zugenommen. „Doch hinter unserem Haus ist es grün. Man kann zum Windberg wandern oder in den Poisenwald“, sagt Ursula Berndt. Der Männerchor singt jedes Jahr unter freiem Himmel am Steinernen Tisch im Poisenwald.

Die Bezeichnung „Poisen“ wird mit der wendischen Gottheit Puistritz in Verbindung gebracht. Sie soll bis zur Christianisierung im Götzenbusch bei Oelsa und eventuell auch auf dem Freitaler Burgwartsberg verehrt worden sein. Den durchs Poisental fließenden Poisenbach nennen Anwohner oft liebevoll „unsere Bach“. In vielen Dialekten ist „Bach“ weiblich.

„Unvergessen bleibt der Milchmann“, erzählt Günther Plogsties und verrät: „Er kam mit seinem Wagen morgens ins Poisental und hatte Milch aus der Kanne, Brötchen, Butter, Käse, Honig, Kaffee und viel mehr dabei. Vor Weihnachten gab es bei ihm auch Extras.“