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Mehr Diabetespatienten in Prohlis

Die Schwerpunktpraxis im Gesundheitszentrum wächst. Die Betroffenen werden immer jünger. Auch Schwangere haben verstärkt Probleme.

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© René Meinig

Von Juliane Richter

Vier bis fünf neue Diabetes-Patienten bekommt Dr. Tobias Behrendt jede Woche von Hausärzten überwiesen. Alle Patienten leben in Prohlis und suchen dann beim Inhaber der Diabetologischen Schwerpunktpraxis im Prohliser Gesundheitszentrum Hilfe. Längst ist Diabetes deutschlandweit zur Volkskrankheit Nummer eins geworden. Doch Behrendt schätzt, dass die Krankheit in Prohlis besonders stark vertreten ist. Vor allem jener Typ-II-Diabetes, der sich mit ungesunder Ernährung und vor allem zu hohem Zuckerkonsum einstellt. Es sei schließlich eine Frage des Geldes, wie gesund sich jemand ernährt, sagt er. In Prohlis, das neben Gorbitz der einkommensschwächste Dresdner Stadtteil ist, würde schneller zu jenen günstigen Lebensmitteln gegriffen – die oft aber auch viel Zucker enthalten.

Seine Kollegin und Praxis-Vorbesitzerin Dr. Sigrun Wilhelm ergänzt: „Es ist eine Krankheit, die oft auch mit dem sozialen Status zusammenhängt. Mit wenig Köpfchen.“ Das klingt hart, Sigrun Wilhelm meint es aber nicht böse. Auf ihre Patienten lässt sie trotz dieser Einschätzung nichts kommen. Weil viele immens willig sind, nach der Diagnose für ihre Gesundheit zu arbeiten. Die Insulineinstellung sei nur ein Teil der Behandlung. Hinzu komme die Schulung über die Blutzuckerwerte und Beratungen zur richtigen Bewegung und eben der Ernährung. Seit rund 30 Jahren arbeitet Wilhelm im Gesundheitszentrum mit Diabetespatienten. Was sie erschreckt: Die Typ-II-Betroffenen werden immer jünger. „In meinen ersten Berufsjahren sind die Menschen ab 60 Jahren an Diabetes erkrankt. Heute sind manche erst 40 Jahre alt, teilweise noch jünger“, sagt sie. Einen Hauptgrund sieht sie auch darin, dass heutzutage weniger selbst gekocht wird. Der schnelle Griff zum Fertigprodukt sei ungesund, vor allem eben wegen des versteckten Zuckers.

Die aktuelle Kampagne der Krankenkasse AOK Plus können die beiden Ärzte da nur begrüßen. „Dresden isst 53 Tonnen Zucker pro Tag. Weniger Zucker ist süß“, steht auf den Plakaten, die eine Dresdensilhouette mit Zuckerberg zeigen. Die AOK hat den errechneten, täglichen Zuckerkonsum von 100 Gramm pro Person mit der Einwohnerzahl multipliziert und ist so auf die Zahl von 53 Tonnen gekommen.

Ampelmethode oder Zuckersteuer?

Die AOK Plus, versichertenstärkste Krankenkasse im Freistaat, hatte im vergangenen Jahr rund 28 500 Dresdner Versicherte, die an Diabetes-Typ II erkrankt sind. Seit 2011 ist deren Zahl damit in der Stadt sogar leicht rückläufig – zumindest unter den AOK-Versicherten. Trotzdem fordert die Krankenkasse, „dass die Politik nachhaltige Regularien trifft, zum Beispiel durch eine Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln“, sagt Sprecherin Katja Zeidler. Ärztin Sigrun Wilhelm spricht sich gar für eine Zuckersteuer aus.

In der Praxis ihres Kollegen Tobias Behrendt zeigt sich das Zuckerproblem mittlerweile auch an anderer Stelle. Prohlis gilt als besonders kinderreich. Verstärkt behandeln Wilhelm und Behrendt seit einigen Jahren Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes. Den berüchtigten Heißhunger hätten die Schwangeren auch früher schon gehabt. „Heute ist aber deren Ausgangsgewicht deutlich höher“, sagt Wilhelm. Der Schwangerschaftsdiabetes verliert sich nach der Entbindung häufig wieder. Die Gefahren sind für die Frauen und auch die Kinder trotzdem groß. Den Kleinen drohen Missbildungen, den Müttern Komplikationen während der Geburt. Und: Wer selbst einen Schwangerschaftsdiabetes hatte, gibt die Anlage für eine Diabeteserkrankung an das eigene Kind weiter.

Zu den häufigen Patientengruppen in der Praxis gehören auch Besucher der diabetologischen Fußambulanz. Diabetes ist eine Gefäßerkrankung. Nach vielen Jahren mit der Krankheit kann es sein, dass die Durchblutung nicht mehr gewährleistet wird. Manche Patienten haben weniger Gefühl in den Füßen, andere ein ständiges Jucken und Zucken. Oder es treten Geschwüre auf, die zu offenen Wunden führen. Während früher dann viele Patienten stationär im Krankenhaus versorgt werden mussten, können die Ärzte in der Praxis heute sehr viel länger ambulant helfen.

Derzeit behandeln Behrendt und Wilhelm bis zu 1 600 Patienten pro Quartal. Tendenz weiter steigend. Sigrun Wilhelm wird zum Monatsende die Praxis ihres Nachfolgers verlassen und in den Ruhestand gehen. Zwei neu eingestellte Ärzte sollen die Lücke schließen. Ob das bei den steigenden Patientenzahlen auf Dauer reicht, ist fraglich. Beide glauben, dass dresdenweit für zusätzliche Kapazitäten gesorgt werden muss. Die zuständige Kassenärztliche Vereinigung erklärt, dass derzeit 17 Ärzte in Dresden in einer solchen Schwerpunktpraxis tätig sind. Sprecherin Katharina Bachmann-Bux geht davon aus, dass die Betreuung der Diabetes-Patienten damit ausreichend sichergestellt ist.