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Mehr als nur blanke Theorie

An der Pestalozzi-Oberschule werden zu Praktika Facharbeiten geschrieben und verteidigt. Ein neues Konzept, das Erfolg zeigt.

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© André Braun

Von Verena Toth

Hartha. Eine wissenschaftliche Facharbeit über das Entstehen einer Schokotorte. Eine Abhandlung über das Lackieren von Industrieobjekten. Eine Arbeit über die Stadt Döbeln in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Pamphlet über die Fun-Sportart Parkour. Das sind die Themen, mit denen sich die Neuntklässler der Harthaer Pestalozzi-Oberschule in diesem Schuljahr auseinandergesetzt haben. Doch die Arbeiten entstanden nicht nur am Schreibtisch. Es sind die Ergebnisse eines Berufsvorbereitungsprojektes, das die Schulleiterin Kerstin Wilde erstmals mit ihren Schülern durchgeführt hat.

Das Neue an dieser Art der Berufsvorbereitung: „Die Schüler beschäftigen sich über einen längeren Zeitraum intensiv mit einem Berufsbild und einem konkreten Unternehmen. Sie lernen die Arbeit, die Anforderungen und die nötigen Vorausstetzungen bei einem Praktikum selbst kennen und müssen dann ihre Erfahrungen und ihren Erkenntnisgewinn in einer Facharbeit analysierend auswerten“, erläutert Kerstin Wilde.

Die schriftliche Arbeit sollte mindestens 16 Seiten lang sein und den qualitativen Anforderungen einer Studien- oder Seminararbeit wie an einer Hochschule oder Universität genügen. „Auch das war für die Jugendlichen eine enorme Herausforderung. Hinzu kam noch, dass sie diese Arbeit vor ihren Mitschülern, den betreuenden Lehrern und den Vertretern ihrer Praktikumsstelle mündlich verteidigen mussten“, erläutert die Schuldirektorin.

Mit Erfolg: „Die Ergebnisse können sich sehen lassen“, freut sich die Pädagogin und stellt exemplarisch die Arbeit der 15-jährigen Hanna Cvancara vor. Titel: „Die Arbeit mit geistig behinderten Menschen in der Werkstatt“. Noch nie zuvor habe sie näheren Kontakt mit behinderten Menschen gehabt, erzählt die Jugendliche. „In Biologie haben wir uns mit den Genen und Gendefekten beschäftigt. Die Trisomie 21, wie das Down-Syndrom auch genannt wird, hat mich interessiert. Ich wollte mehr dazu erfahren“, begründet die Schülerin, warum sie sich diesem Thema gewidmet hat.

Schließlich entschied sie sich, die beiden Praktikumsphasen in der Werkstatt für Behinderte der Diakonie in Roßwein zu absolvieren. Eine intensive und interessante Zeit für die 15-Jährige. „Ich habe direkt mit den behinderten Menschen gearbeitet, habe sie kennengelernt und erkannt, welche unterschiedlichen Stärken und Schwächen jeder hat. Dabei habe ich begriffen, dass man niemanden in eine Schublade stecken darf, ganz gleich ob mit Handicap oder ohne“, macht die junge Frau deutlich. Nach jedem Praktikumstag schrieb sie ihre Erlebnisse nieder, um diese am Tag darauf in der Schule in ihrer Facharbeit einzuarbeiten. „Die Schüler haben eigenständig gearbeitet, konnten aber jederzeit mit uns über die Arbeit sprechen, sich Ratschläge für das Formulieren und Recherchieren holen“, erläutert Kerstin Wilde. Auch die Betreuer in der jeweiligen Praktikumsstelle waren intensiv in diesen Prozess eingebunden.

Besonders dankbar ist die Schulleiterin deshalb dafür, dass sich sowohl ihre Kollegen, als auch die Vertreter der Firmen und Praktikumsstellen extra Zeit für die Schüler und ihre Facharbeit genommen haben. „Das ist nicht selbstverständlich. Es bedeutet zusätzlich Arbeit für die Pädagogen und die Ausbilder“, weiß sie das Engagement zu schätzen.

Mit Blick auf das Ergebnis seien sich aber alle einig gewesen: „Es hat sich gelohnt. Dem ein oder anderen wird es nun sicher leichter fallen, den geeigneten beruflichen Weg einzuschlagen“, sagt Kerstin Wilde. Auch für die Unternehmen selbst hat das Projekt Vorteile erbracht. Denn wenn sich ein Jugendlicher bereits zu duesem Zeitpunkt so intensiv mit diesem Unternehmen und der Arbeit auseinandergesetzt hat, ist der Schritt zum künftigen Azubi und später vielleicht sogar Mitarbeiter viel leichter.

Für Hanna Cvancara steht nun jedenfalls fest: „Ich möchte auf jeden Fall im sozialen Bereich arbeiten. Ein großes Ziel ist, das Abitur zu machen und dann Grundschullehrerin zu werden.“