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„Manchmal stand ich mir selbst im Weg“

Mit 29 Jahren war Anita Maaß einst die jüngste Bürgermeisterin einer Stadt in Sachsen. Jetzt hält sie noch einen Rekord.

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© Claudia Hübschmann

Frau Dr. Maaß, Sie wurden am 27. Oktober 2005 erstmals als Bürgermeisterin von Lommatzsch vereidigt, gehen jetzt ins zwölfte Amtsjahr, länger als ihre beiden Vorgänger nach der Wende. Was bedeutet Ihnen das?

Ich freue mich darüber. Lange Zeit wurde ich ja mit meinen Vorgängern, insbesondere mit Herrn Hirsch, der von 1990 bis 2001 elf Jahre Bürgermeister war, verglichen. Ich hoffe, das hört spätestens jetzt auf. Dinge, die Herr Hirsch und später Herr Elschner angeschoben haben, wurden inzwischen von uns abgearbeitet, der Investitionsstau beseitigt. Für alle nun folgenden Projekte trage ich selbst die Verantwortung und an diesen wird meine Arbeit später bewertet werden.

Ihre beiden Vorgänger nach der Wende mussten das Amt krankheitsbedingt aufgeben. Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

Danke, blendend. Mir geht es so gut wie noch nie in meinem Leben.

Dabei war der Anfang ziemlich schwierig, spielten Sie sogar mit dem Gedanken, die Sache hinzuschmeißen.

Ja, vor allem die Jahre 2006 und 2007 waren sehr anstrengend. Ich war von großen Zweifeln geplagt, ob ich das schaffe. Es gab auch viele persönliche Angriffe. So etwas nimmt man mit nach Hause. Doch ich hatte großartige Unterstützung durch meine Familie, sie gab mir Halt. Ich habe mich damals fürs Kämpfen entschieden, meine eigenen Mechanismen entwickelt.

Zum Beispiel?

Anfangs wollte ich mit dem Kopf durch die Wand, habe argumentiert, wollte die Leute ehrlichen Herzens mit Argumenten überzeugen. Inzwischen weiß ich, dass es Leute gibt, die wollen gar keine Argumente hören, die wollen nicht überzeugt werden. Deshalb reibe ich mich nicht mehr so auf, breche Diskussionen ab, wenn sie sich im Kreis drehen.

Wie viele Dienstaufsichtsbeschwerden gab es gegen Sie?

Ich habe sie nicht gezählt. In der ersten Amtsperiode hätte ich damit mein Zimmer tapezieren können. Keine einzige kam durch. Inzwischen hat sich das gelegt. Ich bin zu keiner Zeit mit Unlust auf Arbeit gegangen, allerdings schon in den Stadtrat. Doch auch das hat sich gelegt. Wir haben uns zusammengerauft.

Haben auch Sie dazugelernt?

Na klar, beispielsweise, dass man für manche Dinge eben mehr Geduld braucht, als ich sie hatte. Manchmal stand ich mir selbst im Weg. Heute weiß ich, wenn man schnell zum Ziel gelangen will, muss man manchmal Umwege gehen. Ich agiere heute mit weniger Emotionen, dafür mit mehr Sachlichkeit.

Sie sind in diesem Jahr 40 geworden. Für manche ist das eine magische Zahl, die in Depressionen verfallen lässt. Sie auch?

Überhaupt nicht, im Gegenteil. Anfangs mit 29 Jahren fühlte ich mich oft nicht ernst genommen. Ich bildete mir ein, dass ich es als Frau schwerer hatte als ein Mann. Vielleicht lag das an mir, an fehlender Ausstrahlung. Jetzt mit 40 bin ich nicht nur viel selbstbewusster, sondern auch gelassener. Nein, ich hadere nicht mit dem Alter.

Was war in den elf Jahren Ihr größter Erfolg, was Ihre größte Niederlage?
Als ich das Amt 2005 übernahm, hatte Lommatzsch 8,4 Millionen Euro Schulden. In sechs Jahren wollen wir komplett schuldenfrei sein. Wenn das gelingt, wäre es phantastisch. Auch dass wir die Bildungsstruktur, also die Kindereinrichtungen und Schulen erhalten und sanieren konnten, ist ein großer Erfolg, der wichtig für die Zukunft der Stadt ist. Viel zu lange dauert mir die Marktsanierung. Die Planung gibt es seit 2007, leider bekamen wir lange Zeit keine ausreichenden Fördermittel.

Dennoch werden Sie als die Bürgermeisterin in die Geschichte eingehen, die das Stadtbad schloss.

Auch das kann man als Niederlage sehen, ja. Aber vielleicht wird man es später auch mal als Chance begreifen, dass wir nicht etwas mit viel Geld aufrechterhalten haben, was uns finanziell überfordert.

Oft kommt ja die Forderung auf, Amtszeiten von Politikern auf zwei Perioden zu begrenzen, wie es in vielen Ländern üblich ist. Wie stehen Sie dazu?

Auf kommunaler Ebene halte ich nicht viel von diesem Vorschlag. Ich denke, Kontinuität tut einer Kommune auch gut. Die kommunale Selbstverwaltung steht nur auf dem Papier. Praktisch sind wir ja keine Kommunalpolitiker, sondern Verwalter. Im Übrigen haben es die Bürger selbst in der Hand, einen Politiker und eben auch einen Bürgermeister nach ein oder zwei Amtsperioden abzuwählen.

Als Bürgermeisterin stehen Sie zwischen Baum und Borke, bekommen Druck von oben und von unten. Warum tun Sie sich das an?

Weil das für mich ein Traumjob ist. Ich habe viel Kontakt mit Menschen, kann Neues entwickeln, mich voll reinhängen. Die Arbeit befriedigt meine Neugier, kein Tag ist wie der andere. Dabei kommt mir zugute, dass ich neben Kommunikations- und Rechtswissenschaft auch Geschichte studiert habe. Ich wollte schon immer wissen, wie die Menschen „ticken“.

Wie bringen Sie Beruf und Familie unter einen Hut?

Unsere beiden Töchter sind inzwischen fünf und 15 Jahre alt, das macht vieles leichter. Die Arbeitsstunden pro Tag zähle ich nicht. Doch meine 30 Tage Urlaub im Jahr, die nehme ich mir inzwischen.

Lommatzsch hat jetzt rund 5 100 Einwohner. Reicht das langfristig für die Selbstständigkeit?

Der Einwohnerschwund verlangsamt sich. Junge Leute verlassen die Stadt wegen der Ausbildung, ältere sterben. Zuzug haben wir vor allem durch Familien mit Kindern. Laut einer Prognose wird sich die Stadt verjüngen. Derzeit haben wir einen Altersdurchschnitt von 49,5 Jahren. 2030 soll dieser der Prognose zufolge bei 47,9 Jahren liegen.

Ist Lommatzsch überhaupt auf großen Zuzug vorbereitet?

Auf starken Zuzug sind wir nicht ausgerichtet, zumal da ein langer „Rattenschwanz“ dranhängt. Ich denke an mehr Plätze in Schulen und Kindereinrichtungen, die wir schaffen müssten. Wir müssen vor allem versuchen, vorhandene Substanz zu nutzen. Optimal wäre, wenn die jetzige Einwohnerzahl gehalten werden könnte. Zeitweise müssen wir auch mal geringere Einwohnerzahlen aushalten können, ohne gleich alle in Jahrzehnten gewachsene Strukturen infrage zu stellen.

Sie haben vor Jahren die Amtsleiter abgeschafft. Kritiker warfen Ihnen vor, alles an sich zu ziehen.

Das genaue Gegenteil ist der Fall. Dadurch hat jeder einzelne Mitarbeiter mehr Vertrauen und Verantwortung erhalten. Bis auf den Förderverein für Heimat und Kultur in der Lommatzscher Pflege gibt es bei mir keine Chefsachen. Bei der Dienstberatung sitzen alle Mitarbeiter mit am Tisch. Ich kann überhaupt nicht klagen, es gibt ein gutes Klima im Rathaus. Das sieht man im Übrigen auch an unseren Ergebnissen.

Sie sind Mitglied der FDP. Mitunter wird kolportiert, sie strebten ein Amt auf Landesebene an. Was ist dran?

Ich habe keinerlei Ambitionen auf ein Amt auf Landesebene, weder in der FDP noch in einer Landesverwaltung.

Sie werden also 2019 erneut als Bürgermeisterin kandidieren?

Ja, ich möchte ein drittes Mal antreten, solange ich brenne und den Eindruck habe, dass wir Dinge bewegen können und dass ich der Weiterentwicklung der Stadt nicht im Wege stehe.

Das Gespräch führte Jürgen Müller.