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Machen die Niederlande es besser?

Im Asylstreit schauen deutsche Politiker neidisch zu den Nachbarn. Die Niederlande haben eines der kürzesten Asylverfahren Europas.

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© dpa

Von Annette Birschel und Martina Herzog

Ter Apel. Die Niederlande haben eines der strengsten Asylgesetze Europas, doch die Verfahren gehen vergleichsweise schnell über die Bühne. „Qualitativ beispielhaft“ laufe es dort, lobt der Migrationsforscher Dieter Thränhardt von der Universität Münster. Kein Wunder, dass die deutschen Nachbarn begehrlich über die Grenze blicken. Aber läuft dort wirklich alles so viel besser? Der direkte Vergleich ergibt ein gemischtes Bild.

Einer der Hauptunterschiede: Im zentralen Aufnahmelager in Ter Apel im Nordosten des Landes bekommt jeder Asylbewerber bereits zu Beginn einen Rechtsanwalt, betont der stellvertretende Direktor der Asyl- und Immigrationsbehörde, Joel Schoneveld, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Wenn sofort alle relevanten Fakten auf den Tisch kommen, verläuft das Verfahren zügiger.“

In Deutschland wird eine solche Unterstützung zwar von Hilfsorganisationen angeboten, vorgeschrieben ist sie aber nicht. „Schutzsuchende müssen sich in ihrer schwierigen Situation oft selbst um die optionale Rechtsberatung kümmern und das ist oft einfach nicht möglich“, kritisiert die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke. „So werden viele Schutzsuchende ohne jegliche Beratung durch die Anhörungen geschleust und dann im Fließbandverfahren abgelehnt.“

Das niederländische Modell funktioniert, sagen auch Anwälte und das Flüchtlingshilfswerk. „Es gibt weniger Widerspruchsverfahren“, sagt Martijn van der Linden vom nicht-staatlichen Flüchtlingshilfswerk, einem der Partner der Behörde. Auch Experte Thränhardt ist voll des Lobes: „Der Anwalt vermittelt dem Bewerber, wie das Verfahren funktioniert. Und er sorgt dafür, dass der Antrag juristisch gut formuliert ist.“

Der Fokus liegt auf der pragmatischen Zusammenarbeit von Behörden, Hilfsorganisationen, Juristen und Polizei - ein bisschen so wie in den von der großen Koalition in Berlin geplanten Ankerzentren. Das illustrieren schon die Schilder auf dem Gelände des zentralen Aufnahmelagers in Ter Apel: Sie weisen den Weg zur Schule, zum medizinischen Dienst, zum Flüchtlingshilfswerk, aber auch zu den Büros, wo die Gespräche mit den Beamten stattfinden und später auch die Entscheidung fallen wird.

Das zentrale Lager für Asylsuchende liegt bei Groningen im Nordosten des Landes nahe der deutschen Grenze. Hier spannt sich der Himmel weit über dem flachen Land. Inmitten kilometerlanger Felder stehen schmucklose Backsteinhäuser aufgereiht hinter einem hohen Zaun.

Anders als im größeren Deutschland, wo Asylbewerber über die ganze Republik verteilt werden, landen in den Niederlanden 90 Prozent aller Flüchtlinge zunächst in Ter Apel. Aktuell sind das rund 2000 Menschen im Monat. Ganz egal, was ihre erste Station in den Niederlanden ist - Venlo, Maastricht oder Amsterdam - sie müssen in den hohen Norden reisen. Mit einer Fahrkarte und einem Zettel mit dem Ortsnamen in der Hand machen sie sich auf den Weg. Das letzte Stück von der Bushaltestelle laufen sie bis zum Eingang des Zentrums, immer an den Feldern entlang.

„Wir wollen die Verfahren so schnell wie möglich abwickeln, aber auch so gründlich wie nötig“, sagt Schoneveld von der Asyl- und Immigrationsbehörde.

Nach der Registrierung und einem Gesundheitscheck werden die Asylsuchenden in den Niederlanden in Ruhe gelassen, fünf Tage lang. „Die Leute müssen erst einmal zu Atem kommen“, sagt Asyl-Vizedirektor Schoneveld. Erst dann beginnt das Verfahren mit einer intensiven Anhörung und der Überprüfung aller Angaben. Die Kernphase des Verfahrens umfasst nur 8 Tage. In Deutschland dauerte es hingegen von der Anhörung bis zur Entscheidung zuletzt im Durchschnitt 4,5 Monate.

Von Anfang an begleiten ehrenamtlichen Helfer die Asylbewerber. „Wir sagen ihnen, was sie erwartet, helfen mit der Bürokratie“, sagt van der Linden. Aber die Helfer geben auch entscheidende Tipps. „Manche verschweigen zum Beispiel aus Angst, dass sie schwul sind“, berichtet van der Linden. „Klar, dafür waren sie in ihrer Heimat verfolgt worden. Aber das kann ein Asylgrund sein, und sie müssen hier keine Angst haben.“

Vor der Gesetzes-Reform 2011 dauerten Asylverfahren in den Niederlanden quälend lange. Jahrelanges Warten war keine Ausnahme. „Die lange Unsicherheit ist zermürbend“, sagt van der Linden und lobt das jetzige Verfahren. „Zu langes Warten ist auch schlecht für die Integration.“

Doch bis Asylbewerber Gewissheit haben, dauert es auch in den Niederlanden deutlich länger als acht Tage. Zur Zeit müssen sie drei bis vier Monate auf den Beginn des Verfahrens warten. Dann geht es gerade bei klaren Fällen, wie etwa bei Flüchtlingen aus Syrien, tatsächlich schnell. Doch in etwa der Hälfte der Fälle, so schätzt das Hilfswerk, sind mehr Untersuchungen notwendig. Und lange Verfahren können bis zu 18 Monate dauern. Welchen Anteil die ausmachen, das ist von den Behörden nicht in Erfahrung zu bringen. Die Wartezeit bis zu einer endgültigen Entscheidung verbringen die meisten Asylsuchenden in einem der regionalen Asylzentren.

Schnellere Verfahren will auch das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erreichen. Binnen drei Monaten soll über neue Anträge entschieden werden - was laut der Behörde bei neuen Anträgen auch klappt. Allerdings ist das Amt noch im Verzug mit der Bearbeitung von Anträgen aus dem Jahr 2016 und davor - was dazu führt, dass das gesamte Verfahren im Schnitt 8,4 Monate dauert.

Doch wie in Deutschland müssen auch in den Niederlanden viele Asylentscheidungen revidiert werden. Wenn man Flüchtlinge aus anderen EU-Staaten sowie aus anderen sicheren Ländern ausklammert, blieben 2017 in den Niederlanden noch 3000 Widerspruchsverfahren. Gut die Hälfte davon war erfolgreich, meist bei Syrern und Eritreern. Die Bilanz fällt damit nicht besser aus als hierzulande: Hier waren im vergangenen Jahr 40,8 Prozent der Klagen erfolgreich, wenn man jene Fälle ausklammert, die sich erledigt haben - zum Beispiel weil der Antragsteller das Land verlassen hat.

Acht Tage nach der Anhörung fällt in den Niederlanden die Asyl-Entscheidung. Etwa ein Drittel der Flüchtlinge darf bleiben. Die übrigen haben nur geringe Chancen, meist weil sie bereits in einem anderen Land registriert wurden oder weil sie aus einem sogenannten sicheren Land kommen. Zum Vergleich: In Deutschland wurden zuletzt rund 46 Prozent der Asylbewerber anerkannt, deren Verfahren sich nicht anderweitig erledigt hatten, zum Beispiel weil ein anderer EU-Staat zuständig war.

Widerspruch gegen den Entscheid ist in den Niederlanden möglich, aber in den meisten Fällen nur ein Aufschub. „Wer kein Bleiberecht hat, muss das Land verlassen“, sagt Schoneveld. „Am liebsten freiwillig.“ In Ter Apel versucht der Rückkehr-Dienst diese Leute in ellenlangen Gesprächen zur Heimreise zu bewegen. Wer nicht freiwillig zurückkehren will, wird abgeschoben oder landet auf der Straße. Das gilt auch für diejenigen, die nicht abgeschoben werden können. Chancen auf eine Notversorgung mit Schlafplatz, Essen und Duschmöglichkeit haben abgelehnte Asylbewerber anders als in Deutschland nur in großen Städten. Dennoch tauchen viele ab - Reiseziel unbekannt. (dpa)