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Löbaus alte Nudelfabrik unterm Hammer

Im September soll das Bauwerk zwangsversteigert werden. Es steht seit Jahren leer und birgt manches Geheimnis.

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© Markus van Appeldorn

Von Constanze Junghanß

Scharouns Handschrift in Stein gemeißelt? Ehrfürchtig fahren Zeigefinger über den Granit. Da steht tatsächlich der Familienname des weltbekannten Architekten im Granit – versehen mit dem Datum 5. 5. 38. Eine flache Kuhle im Stein, umritzt mit einem Muster: Vermutet wird, dass es eine Vogeltränke ist. Der geheimnisvolle Ort zwischen Haselnusssträuchern und Schrebergärten befindet sich nahe der Ecke Äußere Bautzener Straße/Lauchaer Weg in Löbau. Ein Löbauer „Fundstück“, von dem die meisten Einwohner wohl nichts wissen. Der stumme Zeitzeuge ist versteckt auf dem etwa 9000 Quadratmeter großen Gelände der ehemaligen „Nudelfabrik“. Deren Zeit lief kurz nach dem Ende der ehemaligen DDR ab. Da waren die „Anker-Teigwaren“ Geschichte – nach mehr als 100 Jahren Produktion. Unter der Federführung von Hans Scharoun – einem der bedeutendsten Vertreter der organischen Architektur – wurde die Fabrik-Fassade 1934 bis 1935 umgestaltet. Ob der Architekt vom gegenüber liegenden Schminke-Haus das Steinstück auf einer winzigen Mauer inmitten des Gestrüpps tatsächlich höchstpersönlich eingearbeitet hat? Das wird bei einem Rundgang im Betriebsgelände und in der Fabrik – zu dem neben einer Handvoll Besucher auch die SZ eingeladen worden ist – nicht 100-prozentig aufgeklärt. Die Vermutung liegt allerdings nahe.

Den Ausflug hinter die Kulissen der ehemaligen Teigwarenfabrik haben Angehörige des Eigentümers jetzt zum zweiten Mal einer Gruppe von Interessenten ermöglicht. Sie wollen allerdings nicht namentlich in der Zeitung genannt werden. Als Eigentümer genannt wird die Lehrbauhof Löbau GmbH. Die findet man auch noch im Internet. Unter der angegeben Telefonnummer meldet sich eine Bandansage mit den Worten: „Kein Anschluss unter dieser Nummer“. Den Lehrbauhof gibt es nicht mehr. Vor einigen Jahren war Schluss. An einigen Innenwänden in der Fabrik sind Erinnerungen an diese Zeit zu entdecken: „Bitte Lächeln“ steht in großen bunten Buchstaben auf einer Wand – daneben ein gemalter Gartenzwerg und ein Kreisel. Zwei Säulen sind fast vollständig mit wie von Kinderhand gezeichneten Mini-Gesichtern bedeckt. Licht flutet durch riesige Räume. Die Zeit steht still – und die Nudelfabrik mittlerweile beim Görlitzer Amtsgericht mit Versteigerungstermin im Wege der Zwangsvollstreckung eingetragen. Das ist gestern im offiziellen ZVG-Internetportal der Justizverwaltungen veröffentlicht gewesen. Dort werden Zwangsversteigerungen bekannt gegeben. Wie die Angehörigen des Eigentümers betonen, sind aber mehrere Rechtsmittelverfahren gegen die Zwangsvollstreckung anhängig.

Mit veröffentlicht ist auch ein Exposé eines Görlitzer Ingenieurbüros. Darin heißt es unter anderem, dass die Baujahre der einzelnen Gebäudekomplexe zwischen 1870/80 und 1970/80 liegen. „Die Nudelfabrik wurde bis 1992 betrieben. Danach wurde der gesamte Gebäudekomplex um- und ausgebaut, um ihn als Lehrbauhof zu nutzen“, steht in der Kurzbeschreibung und ebenso, dass dieser bis vor zirka acht Jahren existierte und seitdem leer steht. Von der Nudel-Produktion zeugen unter anderem noch ein 17 Meter tiefer Brunnen im Keller, aus dem das Wasser für die Herstellung der Teigwaren kam. Und auch ein Teilstück einer ehemaligen Mehlrutsche ist beim Rundgang unter dem Dach zu sehen. Runde „Bullaugen“-Fenster in den Türen zeigen das Anker-Zeichen. Bis zu 600 Menschen seien in der Produktion beschäftigt gewesen, ist beim Rundgang zu erfahren. Die Versteigerung soll nun am 13. September am Amtsgericht Görlitz stattfinden. Der Verkehrswert wird mit 328 000 Euro angegeben. Als Gläubiger werden die Stadt Löbau und das Finanzamt Löbau aufgeführt. Dabei haben sich die Angehörigen des Eigentümers eine besondere Zukunft für das Riesenobjekt vorgestellt. Vereine könnten die Räume künftig ebenso nutzen, wie Gewerbetreibende. Deshalb wurde die mehrstündige Führung angeboten, um Nutzer zu finden und auf das Potenzial des Fabrikgebäudes aufmerksam zu machen.

Dass die frühere Nudelfabrik des Unternehmers Fritz Schminke mit neuem Leben gefüllt werden könnte, ist in der Vergangenheit immer mal wieder im Gespräch gewesen. Einerseits hängen daran viele Erinnerungen der Löbauer. Andererseits ist die Nudelfabrik ein historisch bedeutsames Bauwerk – zumal das von Hans Scharoun errichtete Fabrikantenhaus Schminke direkt gegenüber liegt. 2011 war sogar der heutige Sächsische Ministerpräsident und damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer bei einem Vor-Ort-Termin dabei. Schon damals wurden Nutzungsideen für das Objekt besprochen. Getan hatte sich aber bisher noch nichts, sodass die Fabrik im Dornröschenschlaf versunken schien. Welcher Zukunft sie nun entgegen schauen wird, ist aktuell offen.