Von Tobias Hoeflich
Auf diesen kleinen Hocker stellen? Der keine 20 Zentimeter hoch ist und gerade mal gut 37 Gramm wiegt? Da wird es selbst Axel Spickenheuer etwas mulmig. „Probiert hab ich das noch nie“, gesteht der Forscher am Dresdner Leibniz-Institut für Polymerforschung. Aber was wäre er für ein Wissenschaftler, wenn er nicht an seine eigene Entwicklung glauben würde! Also wagt sich der 40-Jährige fürs Foto auf den Hocker, hoffend, dass der nicht kaputtgeht. Und selbst wenn: „Die Fallhöhe ist ja gering“, scherzt er.
Spickenheuer ist seit 2005 am Institut für Polymerforschung an der Hohen Straße in der Südvorstadt tätig, eine von 19 Stationen, die am Freitag zur 16. Langen Nacht der Wissenschaften geöffnet haben. Seit acht Jahren leitet der Wissenschaftler die Arbeitsgruppe Komplexe Strukturkomponenten. „Wir stellen faserverstärkte Leichtbauteile mittels eines besonderen Stickverfahrens her. Diese Technologie wurde vor 25 Jahren an unserem Institut entwickelt.“ Man hat einen Grundstoff, zum Beispiel Textil, der mit Kohlenstofffasern verstärkt wird. „Wie viel Material kann man weglassen, wie müssen die Fasern gelegt werden, damit ich genau die gewünschten Eigenschaften bekomme, ohne ein Gramm zu viel Material zu verwenden? Das ist unsere Philosophie und Herausforderung.“
Die Vorteile liegen auf der Hand – und werden längst in der Industrie genutzt. So kann das Institut drei Firmenausgründungen von ehemaligen Mitarbeitern vorweisen, welche die Erkenntnisse nutzen. Etwa die Firma Hightex Verstärkungsstrukturen, die Fensterrahmen für den Airbus A 350 herstellt – ultraleicht und dennoch extrem belastungsfähig. Auch in Autos, Sportgeräten oder Maschinenteilen wird die Technologie angewendet. Der Hocker ist dagegen nur ein Ausstellungsstück, der die Erkenntnisse der Forscher demonstriert. Ihn gibt es auch eine Nummer größer mit einer Masse um die 600 Gramm. Wie viel dieser aushält, kann Spickenheuer selbst nicht sagen. „Wir haben ihn mit 200 Kilogramm belastet, ohne dass etwas passiert ist. Ein etwas fülliger Amerikaner ist auch mal drauf herumgesprungen“, sagt er lachend. „Weiter sind wir nicht gegangen. Dafür wäre uns der Hocker zu schade und das Material zu teuer, um ihn einfach kaputt zu machen.“
Nur: Wo liegen beim Leichtbau die Grenzen des Machbaren? Eine eindeutige Antwort wird auch Spickenheuer bei seinem Vortrag zur Langen Nacht der Wissenschaften nicht geben können – aber auch anhand von Exponaten verdeutlichen, wie die physikalischen Grenzen immer weiter ausgereizt werden.
Dass Ottonormalbürger bei der hochkomplexen Forschung nicht mitkommen könnte, diese Zweifel zerstreut Institutssprecherin Kerstin Wustrack: „Wir haben oft Schulklassen bei uns zu Gast. Unsere Wissenschaftler sind es gewöhnt, komplexe Dinge einfach zu erklären“, sagt sie. Schon seit der zweiten Langen Nacht der Wissenschaften ist das Institut für Polymerforschung dabei und hat diesmal zwanzig Labors und Technika geöffnet. „Es wird auch eine Kindervorlesung und Experimente speziell für Kinder geben“, kündigt Wustrack an – und erwartet ein volles Institutsgebäude: „Wir hatten letztes Jahr rund 1 150 Besucher und hoffen auch dieses Mal wieder auf mindestens 1 000.“
Station 10: Leibniz-Institut für Polymerforschung, Hohe Straße 6, erreichbar mit der Buslinie 62 (Haltestelle Schweizer Str.), Vortrag von Dr. Axel Spickenheuer um 20 Uhr, weitere Veranstaltungen am Institut von 18 bis 1 Uhr