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Wohnen in einer Höhle

Gabriella ist auf die Kanaren ausgewandert. Dort wohnt sie in einem abgelegenen Tal auf der Insel La Palma. Aufgewachsen ist sie in Liegau.

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© dpa/Carola Frentzen

Von Carola Frentzen

Liegau / La Palma. Als die 68er-Bewegung vor 50 Jahren freie Liebe, Pazifismus und einen alternativen Lebensstil propagierte, da war Gabriella noch gar nicht geboren. Aber mit dem „Spirit“ dieser Zeit kann sich die 44-Jährige identifizieren. Sie sei ein „stolzer Hippie“, sagt sie und ihre blauen Augen strahlen aus einem sonnengebräunten, glücklichen Gesicht. Seit vier Jahren lebt die Deutsche in einem schwer zugänglichen Winkel von La Palma in einer Höhle - oder genauer gesagt, in mehreren Höhlen, die einst die Urbevölkerung der Kanareninsel bewohnte.

Die Wohnhöhle von Gabriella ist praktisch eingerichtet. Hier hat sie alles, was sie braucht, sagt sie.
Die Wohnhöhle von Gabriella ist praktisch eingerichtet. Hier hat sie alles, was sie braucht, sagt sie. © dpa/Carola Frentzen

Wer jetzt an dunkle Gewölbe denkt, an klaustrophobische Enge und Kälte, der liegt falsch. Es ist gemütlich in Gabriellas Wohnhöhle, luftig und hell. Sie liegt leicht erhöht und ist an zwei Seiten offen. Ein mit einem Sonnenschutz aus hellem Stoff ausgekleidetes Fenster und der Eingang wurden von Zeit und Erosion in den Fels gemeißelt, ganz natürlich. Zwei Korbsessel an einem Holztisch, eine Küchenecke mit allerlei Schränkchen und Utensilien und ein Hochbett mit Moskitonetz leuchten bei Sonne im blauen Licht des Nachmittags.

Die Ahnen, die „Guanchen“, die einst hier lebten, seien noch immer präsent, sagt Gabriella. „Ich habe versprochen, den Ort nicht durcheinanderzubringen und nur minimal invasiv hier zu leben.“ Sollte sie eines Tages wieder fortziehen, werde alles so zurückgelassen, wie sie es vorgefunden habe. Gabriellas Höhlen liegen in einem der vielen „Barrancos“ von La Palma. Das sind tiefe Schluchten, unzugänglich und unberührt, voll mächtiger Natur - darunter Feigenkakteen, duftender weißer Ginster, heimische Bäume und hohe Gräser. Die Höhlen sind so gut in die Landschaft integriert, dass sie erst sichtbar werden, wenn man direkt davorsteht. Und das ist gut so.

Denn Gabriella und ihr Lebenspartner Christian, der vor zwei Jahren zu ihr gezogen ist, lieben die Abgeschiedenheit. Bereits jetzt leben in der Schlucht weitere Aussteiger in Höhlen. Dass das Paradies von Schaulustigen überrannt und die Stille und Magie des Ortes dadurch zerstört werden könnten, ist ihrer aller Albtraum. Nur acht Katzen und der alternde Hund von Gabriellas Tochter gehören zum Höhlenidyll – sowie gelegentlich Gäste, die „Retreats“, also spirituelle Ruhepausen, bei dem Paar buchen, um ihr Alltagsleben für ein paar Tage hinter sich zu lassen. Dabei helfen eine gemütliche Massagehöhle, deren Öffnungen mit Autofenstern ausgekleidet wurden, und eine abseits gelegene Gästehöhle.

Endlich angekommen

Gabriella wurde in der DDR geboren, in Liegau-Augustusbad. Ihr Stiefvater geriet mit der Stasi aneinander und ging in den Westen. Als sie 14 war, erhielt die Familie die Ausreisegenehmigung. „Nur mit ein paar Koffern reisten wir ab und zogen in die Nähe von Recklinghausen.“ Der Jugendlichen fiel es schwer, sich im Westen zurechtzufinden. Die Freunde in der DDR wollten nichts mehr von ihr wissen, aber auch in der Bundesrepublik litt sie unter Vorurteilen. „Ich habe schon früh den Glauben an das politische System verloren“, sagt sie.

Mit 15 zog sie aus, putzte und kellnerte, um sich über Wasser zu halten, machte dann eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. „Aber ich habe gemerkt, dass ich in Deutschland einfach nicht klarkam.“ Nach vielen Umwegen, Irrungen, Wirrungen und Krankheiten gelangte sie vor 20 Jahren nach La Palma. „Die Insel hatte von Anfang an etwas Magisches. Hinter jeder Kurve gibt es etwas zu entdecken“, schwärmt sie und streichelt ihren Kater, der auf ihren Beinen schnurrt.

Gabriella lernt alles über Kräuter und deren heilsame Wirkung – eine Passion, die sie bereits in Deutschland hegte. Eine Kräuterfinca, die sie aufbaut, verliert sie unter unglücklichen Umständen. Weitere Dramen folgen, kurzzeitig sitzt sie sogar – unschuldig – in Haft. Der Tiefpunkt. Dann hört Gabriella von Bekannten, dass im Inselnorden Höhlen verkauft werden. „Ich sah diese hier und wusste, das ist es“, erinnert sie sich. „Die ersten drei Monate habe ich nur geweint, man könnte sagen, meine Seele hat sich ausgeheult.“ Da sei ein starkes Gefühl der Dankbarkeit gewesen, des Angekommenseins, des Glücks. Das sei bis heute so.

Etwas Strom aus einem Solarmodul

Ganz ohne die Zivilisation geht es aber nicht. Gabriella hat ein Smartphone, um mit Familie, Freunden und „Retreat-Kunden“ in Kontakt zu bleiben. „Aber es liegt in einer Ecke und ich schaue nur ab und zu darauf.“ Ein wenig Strom gibt es aus einem Solarmodul, das Geld für den teuren Zugang zu Wasser stammte aus einer Erbschaft. Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Kräuter baut das Paar selbst an. Einkäufe werden im nächsten Dorf erledigt.

„Ich würde jedem empfehlen, sich eine Auszeit zu nehmen und seine eigene Natur kennenzulernen“, sagt Gabriella. Ein wichtiger Aspekt sei dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Denn letztlich brauchst du doch nur etwas zum Anziehen, Wasser und eine warme Dusche, etwas zu essen und ein Bett.“

Die Sonne geht unter und wirft Schatten auf den jetzt in weiche Grüntöne getauchten Barranco. Der Himmel strahlt orange-gelb, ein paar Vögel kreischen noch, Eidechsen huschen über den warmen Fels. Der Ausblick von der Wohnhöhle ist überwältigend. „Das alles gibt mir ein Gefühl von tiefem Frieden. Die Höhle, das fühlt sich wie Zuhause an.“ Gabriella lächelt von innen heraus, wie es nur eine kann, die lange gesucht und dann das Glück gefunden hat. (dpa)