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Letzte Chance für das Museum der Deutschen

Die Entlassung der umstrittenen Chefin ist der Tiefpunkt für das Prestigeprojekt, aber auch eine neue Hoffnung.

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© Neumann

Von Steffen Neumann

Usti nad Labem. Tomas Okurka muss derzeit viel erklären. Der Historiker arbeitet eigentlich als Kurator für neuere Geschichte im Stadtmuseum von Usti nad Labem (Aussig). Doch Anfang November übernahm er vorübergehend die Leitung des Collegium Bohemicum (CB). Dafür musste er nicht weit umziehen. Das Collegium bereitet die lang geplante Dauerausstellung zu 800 Jahre Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in Böhmen und Mähren vor. Für sie ist mit 1 500 Quadratmeter der Großteil der Ausstellungsfläche im Stadtmuseum reserviert. Doch während das historische Museumsgebäude nach aufwendiger Sanierung schon im Juli 2011 eröffnet wurde, stehen die Räume für die Dauerausstellung größtenteils leer.

An die ehemalige deutsche Minderheit soll künftig im Stadtmuseum erinnert werden.
An die ehemalige deutsche Minderheit soll künftig im Stadtmuseum erinnert werden. © Neumann
„Wer sind unsere Deutschen?“, fragt das Modell der geplanten Dauerausstellung über die Deutschen in Böhmen und Mähren.
„Wer sind unsere Deutschen?“, fragt das Modell der geplanten Dauerausstellung über die Deutschen in Böhmen und Mähren. © Collegium Bohemicum
Tomas Okurka in den Räumen des Stadtmuseums Usti. Er führt als Interimsleiter das Collegium Bohemicum, das die Ausstellung vorbereitet.
Tomas Okurka in den Räumen des Stadtmuseums Usti. Er führt als Interimsleiter das Collegium Bohemicum, das die Ausstellung vorbereitet. © Neumann

Der Prozess, der mit der Gründung des Collegium Bohemicum 2006 so verheißungsvoll begann, ist in den letzten Jahren ins Stocken geraten. Zumindest in der Außenwahrnehmung erhielt das Projekt den letzten großen Dämpfer mit der Abberufung der langjährigen CB-Direktorin Blanka Mouralova durch den Verwaltungsrat am 1. November letzten Jahres.

„Es gibt immer noch großen Erklärungsbedarf“, räumt Okurka auf die Frage ein, was er in den ersten vier Monaten in neuer Funktion geschafft hat. Kein Wunder, in tschechischen Medien erschienen schon Berichte über das Ende des Projekts. Auch in deutschsprachigen Medien fand das Ereignis Widerhall, vor allem in Bayern. Das ist nur folgerichtig, weckte das ehrgeizige Projekt über die Jahre in Deutschland fast mehr Interesse als in Tschechien. In Deutschland wird die Ausstellung als wichtiger Teil der Aufarbeitung der Vertreibung der deutschen Minderheit aus der damaligen Tschechoslowakei empfunden. In Tschechien ist nicht wenigen immer noch unbekannt, dass es früher mal einen hohen deutschen Bevölkerungsanteil gab. Deutsche werden oft auf die Rolle österreichischer Vasallen in der kaiserlichen Monarchie oder gleich des nazistischen Besatzers reduziert.

Umso wichtiger der neue Ansatz, den die geplante Ausstellung pflegen will: Hervorhebung des deutschen Kulturerbes – ohne dabei das letzte, dunkle Kapitel, die faschistische Besatzung und die nachfolgende Vertreibung der Deutschen, auszulassen. Doch dass es bei diesem Ansatz bleibt, war mit der Entlassung Mouralovas mehrfach angezweifelt worden. „Das wiederhole ich allen unseren Partnern: An der Konzeption wird sich nichts ändern“, betont Okurka. Dem stimmt auch Vlastislav Ouroda, stellvertretender Kulturminister und Mitglied des Verwaltungsrats im Collegium Bohemicum, zu. „Die grundsätzliche Ausrichtung wird sich nicht ändern.“

Hohe Strafe für Fehler

Offiziell wurde die Entlassung Mouralovas mit der Formel begründet, es habe ihre Kräfte überstiegen, die Ausstellung vorzubereiten und das Collegium Bohemicum zu leiten. Eine Rolle dürfte dabei die hohe Strafe gespielt haben, die das CB 2014 vom staatlichen Kontrollamt für Fehler bei der Abrufung staatlicher Fördergelder erhalten hatte. Mouralovas Tätigkeit beim tschechischen Stasi-Archiv USTR, die sie seit zwei Jahren ausübt, hatte zum Eindruck beigetragen, dass sie sich nicht mehr ausreichend um das Collegium kümmere. Der wichtigste Grund dürfte aber die Klage sein, Mouralova habe nicht ausreichend kommuniziert. Darüber beschwerten sich Museen in Regionen mit früher deutscher Mehrheit, die über Jahre beachtliche Ergebnisse bei der Pflege des deutschen Erbes vorzuweisen hatten, sich aber in der Arbeit des CB zu wenig wiederfanden. Aber auch die drei Gründungsinstitutionen des CB – die Universität in Usti, die Stadt Usti und die Gesellschaft für die Geschichte der Deutschen in Böhmen, einem Verein, der vor allem aus Historikern besteht und dem neben der Verwaltungsratsvorsitzenden Kristina Kaiserová auch Interimsdirektor Okurka angehört, hatten damit Probleme.

Umgekehrt müssen sich die Träger des CB fragen, ob sie den Verein ausreichend unterstützt haben. Die Regierung blieb jahrelang die Einlösung des Versprechens schuldig, Geld für die Ausstellung zu geben. Die Zusage der versprochenen knapp zwei Millionen Euro traf erst im Mai vorigen Jahres ein. Die Stadt Usti hatte zwar ihren Teil mit der Sanierung des Museums getan und dem CB die Räume kostenlos zur Verfügung gestellt. Trotzdem bleibt die Frage, ob ein Jahresetat von wenigen zehntausend Euro für ein so prestigeträchtiges Projekt ausreicht.

Die Entscheidung, Mouralova abzuberufen, war fast einstimmig. Acht von neun Mitgliedern im Verwaltungsrat, dem neben den drei Gründungsinstitutionen auch zwei Vertreter vom Kulturministerium und ein Abgesandter des Außenministeriums angehören, haben für ihre Entlassung gestimmt. Damit liegt die Verantwortung für den Neuanfang auf breiten Schultern.

Tatsächlich macht sich in Usti so etwas wie Aufbruchstimmung breit. „Wir haben jetzt einen neuen wissenschaftlichen Rat“, nennt Okurka einen ersten Erfolg. Das Mandat des ersten war schon vor Jahren ausgelaufen. Der hatte bei der Ausarbeitung der Konzeption geholfen. Doch der Rat ist weiterhin wichtig. „Erstens sind noch viele Texte für die Ausstellung zu schreiben. Zweitens haben wir noch nicht alle Exponate sicher. Bei all dem kann er uns helfen“, zählt Okurka auf.

Und mit dem 38-jährigen Historiker Petr Koura steht seit Dienstag auch der neue Leiter des Collegium Bohemicum fest. Er wird bereits ab Mai seine Tätigkeit aufnehmen. Er muss entscheiden, ob Mouralova zumindest noch als Kuratorin an der Ausstellung weiterarbeiten wird. Den Fahrplan haben das Kulturministerium und Übergangsdirektor Okurka schon mal vorgegeben: „Wir wollen 2018 eröffnen.“