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Lecker Algen

Das grüne Gold könnte bald nicht nur in der Nahrung zu finden sein. Algen lösen auch Umweltprobleme.

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© Sven Ellger

Von Jana Mundus

Beim vergangenen Stammtisch gab es Plätzchen. Claudia Scharff hat zugegriffen und sie probiert. Ohne schlechtes Gewissen. Naschen für die Wissenschaft eben. Ganz besondere Kekse waren das, die beim jährlich stattfindenden Bundes-Algenstammtisch, einem Treffpunkt für Forscher auf diesem Gebiet, verkostet wurden. Mit Algen-Inhalt natürlich. Wie das schmeckt? „Grün“, sagt die Wissenschaftlerin der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden und lacht. Gesund irgendwie, aber nicht schlecht. Seit sieben Jahren forscht sie an Mikroalgen. Ob als Nahrungsergänzungsmittel, in der Medizin oder bei der Biodiesel-Produktion – in den Winzlingen steckt viel Potenzial. Manch einer sieht in ihnen eine Rohstoffquelle der Zukunft. Vom „grünen Gold“ ist die Rede. Doch noch suchen die Wissenschaftler nach einer Möglichkeit, Algen kostengünstig zu züchten. Claudia Scharff ging dafür in den Keller.

Millionen von Mikroalgen befinden sich in jedem Glaszylinder. Mit der Anlage prüften die Forscher den Einfluss von Licht oder Mikrowellen auf die Algen.
Millionen von Mikroalgen befinden sich in jedem Glaszylinder. Mit der Anlage prüften die Forscher den Einfluss von Licht oder Mikrowellen auf die Algen. © HTW Dresden
Mit dem Mikroskop werden Mikroalgen sichtbar. Unzählige Arten gibt es.
Mit dem Mikroskop werden Mikroalgen sichtbar. Unzählige Arten gibt es. © HTW Dresden

Auch wenn es viele vielleicht denken: Mikroalgen sind keine Pflanzen. Sie sind eine eigene Lebensform. Bis heute sind ungefähr 40 000 Arten bekannt. Schätzungen gehen davon aus, dass es viele Millionen sein dürften. Was die alle können oder welche gesundheitlichen Vorteile sie haben, ist noch vollkommen unklar. Es gibt Braun-, Grün-, Rot- und Kieselalgen. Alle sind unglaublich klein und nur unter dem Mikroskop zu erkennen. Sie sind sechsmal winziger als ein menschliches Haar dünn ist, bestehen je nach Art aus einer oder mehreren Zellen. Überall dort, wo es etwas feucht ist, sind die Multitalente zu finden – auf Felsen, im Schnee, in Süß- oder Salzwasser.

Die ersten Mikroalgen von Claudia Scharff kamen aus Halle. Eine dortige Partnereinrichtung stellte eine Starterkultur für das Forschungsprojekt an der HTW Dresden bereit. Ziel der Untersuchungen: Die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen wollten herausfinden, welche Faktoren das Wachstum der Algen positiv beeinflussen. Die Mikroalge wächst von Natur aus unheimlich schnell. Mehrmals im Jahr ist also theoretisch eine Ernte möglich. Doch was passiert in speziellen Kultivierungsanlagen? Noch ist genau das kompliziert zu planen, vor allem für die Nutzung im medizinischen Bereich. „Wir haben erst einmal ein halbes Jahr gebraucht, um eine stabile Kultur für unsere Versuchsanlage zu etablieren“, sagt Claudia Scharff. Dann zogen die Forscher mit den Mikroalgen ins Kellergeschoss.

Grasgrün war die Flüssigkeit in den großen Glaszylindern. Millionen von Mikroalgen befanden sich in jedem der Zwei-Liter-Kolben. Blasensäulenreaktor heißt so ein Aufbau in der Wissenschaft. Dabei wird permanent Luft in die Kolben geblasen. Den darin enthaltenen Kohlenstoff brauchen die Mikroalgen für die Fotosynthese. Die Algen werden schon seit über 50 Jahren kommerziell produziert. Jährlich entstehen so 10 000 Tonnen an Algen-Biotrockenmasse. Im Weltmaßstab gesehen keine große Menge. Größter Produzent ist China, aber auch in Japan, Taiwan, den USA oder Israel werden die Algen kultiviert. Die Kosmetikindustrie nutzt sie wegen ihrer Vitamine und Beta-Carotinoide für die Hautpflege, Alginate aus Rot- und Braunalgen dienen in der Wundversorgung als Kompressen, Tierfutter wird aus ihnen hergestellt und schon heute kommen sie in Lebensmitteln vor. Oftmals findet die Produktion heute in offenen Systemen statt, in Teichen, Lagunen oder in künstlichen Behältern. Das Problem dabei: Einflussfaktoren wie Licht und Temperatur können nicht gesteuert werden, außerdem sind Verunreinigungen möglich. Bei der Verwendung der Mikroalgen für Biodiesel kein Problem, bei medizinischen Produkten wäre eine Verschmutzung mit Bakterien allerdings bedenklich.

Im Keller waren störende Einflüsse ausgeschlossen. Über viele Monate hinweg beobachteten die Dresdner Forscher, was die Mikroalgen mögen und was nicht. Welche Lichtverhältnisse sind gut, welche nicht? Welche Farbe sollte das Licht haben und können Mikrowellen das Wachstum unterstützen? Letzteres erwies sich als Trugschluss. In Sachen Licht stieß Claudia Scharff allerdings auf eine wichtige Erkenntnis. Grünes Licht einer LED-Lampe mögen Mikroalgen offensichtlich sehr, zeigten die Tests.

Die Forschungsergebnisse sind ein nächster Schritt auf dem Weg hin zu einer neuen, vielversprechenden Rohstoffquelle. Doch es dürfte, so die Wissenschaftlerin, noch dauern, bis weltweit wirklich so große Mengen der Mikroalgen produziert werden können, dass ihre Produktion kostengünstiger möglich ist. „Dafür sind weitere Forschungsarbeiten notwendig“, sagt Claudia Scharff. Auch für sie soll nach dem ersten Projekt nicht Schluss mit den Algen sein. „Für mich ist das ein spannendes Forschungsgebiet“, erklärt sie. Ideen für weitere Untersuchungen gibt es bereits.

In Zukunft müsse vor allem an Konzepten gearbeitet werden, wie die Ernte der Mikroalgen effektiviert werden kann. Eine Möglichkeit ist das Milking-Verfahren. Dabei werden wertvolle Fette aus den Mikroalgen gewonnen, wie die bekannten Omega-3-Fettsäuren – ohne, dass die Alge dabei zerstört wird. Sie kann also wiederverwendet werden. Eine Zukunftsvision sind auch spezielle Bioraffinerien, in der die Algen-Biomasse gleich zu mehreren Produkten verarbeitet wird. „Momentan wächst das Bewusstsein für den grünen Rohstoff.“ Algen könnten künftig Schwermetalle aus Abwassern lösen oder auch zur Reinigung der Luft an Häuserfassaden angebracht werden. Die kleinen Multitalente sind also mehr als bloßer Keksinhalt.