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Leben im Unbegrenzten

Wilhelm Hänsch war Maler, Fotograf und Musiker – sein Vater Wolfram erzählt von seinem verstorbenen Sohn.

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Meißen. Diese Bilder sind anders, man sieht es sofort. Wo sich in vielen anderen das Verschulte der Porzellanmalerei zeigt, da ist hier Freiheit. Die Rede ist von drei Bildern, die in der aktuellen Sonderausstellung zu Tieren in der Bildenden Kunst im Stadtmuseum Meißen hängen. Gemalt hat sie Wilhelm Hänsch. Hat der etwas mit Wolfram Hänsch, dem Meißener Maler und langjährigen Lehrer an der Dresdner Kunsthochschule zu tun? „Ja, es war sein Sohn“, antwortet Martina Fischer, die Museumsleiterin. „Er ist 2014 gestorben.“

Das Stadtmuseum Meißen besitzt zehn Bilder von Wilhelm Hänsch. Noch bis zum 23. September sind drei Bilder mit Fischdarstellungen in der aktuellen Sonderausstellung des Museums „Bitte nicht füttern!“ mit Tierdarstellungen, vor allem Kleinplastik aus Porze
Das Stadtmuseum Meißen besitzt zehn Bilder von Wilhelm Hänsch. Noch bis zum 23. September sind drei Bilder mit Fischdarstellungen in der aktuellen Sonderausstellung des Museums „Bitte nicht füttern!“ mit Tierdarstellungen, vor allem Kleinplastik aus Porze © Repro/SZ
Wolfram Hänsch 2015 mit Arbeiten seines verstorbenen Sohnes Wilhelm in der Ausstellung in der Verwaltungsfachhochschule.
Wolfram Hänsch 2015 mit Arbeiten seines verstorbenen Sohnes Wilhelm in der Ausstellung in der Verwaltungsfachhochschule. © Claudia Hübschmann

In seinem Atelier erzählt Wolfram Hänsch, der Vater, später, dass Wilhelm als Angler nicht nur die Fischarten kannte, sondern auch wie so ein Fisch gebaut ist und wie er sich bewegt. Für das Faltblatt zu einer Ausstellung in der Verwaltungsfachhochschule 2015 mit Aquarellen, Fotografien und Zeichnungen seines Sohnes hatte er es so formuliert: „Auf die Not der Gegenwart reagierte er seismographisch mit Bildern von Vögeln und Fischen. Sie leben in unbestimmbaren Räumen. Zum einen zeigt er die Weite als solche, zum anderen das Offene, das uns umstellt. Es sind Wesen im anderen Element. Diese haben ihn von Kind an angezogen. Hier hatte er eine intime Kenntnis.“

Wilhelm Hänsch wurde 1966 geboren, sein Bruder ein Jahr zuvor, sie seien immer für Zwillinge gehalten worden, erzählt der Vater. Ab 1983 lernt Wilhelm Porzellanmaler in der Manufaktur. „Er war nicht sehr beliebt bei seinen Vorgesetzten, weil er manchmal den Mund aufgemacht hat.“ Er versuchte, sich in seiner freien Malerei frei zu machen vom Kleben am Naturalismus und der Effekthascherei, die Porzellanmaler oft an den Tag legen, wenn sie anderes als das weiße Gold bemalen. Ab Ende der 1980er Jahre wandte er sich der Fotografie zu, spielte in verschiedenen Bands.

Meißner Meister-Maler – Wolfram Hänsch

Für Wolfram Hänsch schließt sich 1992, als er als künstlerischer Mitarbeiter an der Hochschule für Bildende Künste Dresden eingestellt wird, ein Kreis. War er hier doch von 1961-66 Student gewesen und in Ungnade gefallen. Denn seine Diplomarbeit, ein Grafikzyklus zum Thema Ernte, entsprach nicht den Erwartungen an die Darstellung der sozialistischen Landwirtschaft und wurde abgelehnt. Daraufhin verließ Wolfram Hänsch die Kunsthochschule ohne Diplom.

Als schließlich noch eine Ausstellung im Dresdner Leonardi-Museum zum Thema ländliches Leben mit Arbeiten von ihm verboten wurde, zog er sich zurück in die Nähe von Meißen, nach Seeligstadt. „Ich habe das alles gemacht, um keine Zugeständnisse in der Arbeit machen zu müssen, die Möglichkeit, nicht alles mitzumachen, ist immer gegeben.“ Das erklärt er 2007 gegenüber der SZ. Er gibt Zeichenunterricht an der Meissner Porzellanmanufaktur, macht Wandrestaurierungen für die Denkmalpflege oder drechselt Kunsthandwerkliches.

Immerhin erhielt er 1982 den Kunstpreis der Stadt Meißen. Zwischen 1985 und 1989 gestaltete er die Kapelle St. Joseph in Netzschkau mit Sgraffito, Bildern und Fenstern aus.

Wichtig für den 1944 in Meißen Geborenen sollte der fast zehnjährige Aufenthalt in Seeligstadt werden: „Da hatte ich eine Begegnung, die mich genauso wie das Studium geprägt hat.“ Er erzählt von Kurt Schütze, dem Bäckermeister des Orts. Der hatte eine Bibliothek voller Romantiker, von Arnim über Eichendorff bis zu Novalis. Vierzig Jahre später war Wolfram Hänsch wieder bei Novalis, gestaltete eine Mappe mit Radierungen zum Dichter der Blauen Blume. Die Blaue Blume steht für unstillbare Sehnsucht und für die Liebe und für das Streben nach Selbstvervollkommnung und dem Unendlichen.

Wolfram Hänsch ist jetzt 74, aber immer noch geht er in sein Atelier auf den Schlossstufen, um zu malen. Was er schafft, sind nicht die Werke eines Kleinmeisters, sondern Kunst von Format. Wer einmal ein Kruzifix von ihm gesehen hat, seine irritierenden Treppenhäuser oder die Blätter aus der Novalis-Mappe, wird das unterschreiben. Derzeit stellt er die Bilder für eine Personalausstellung auf der Albrechtsburg zusammen. Dass er den Räumen gewachsen ist, ist sicher.

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Was das Meissener betrifft, so experimentiert er mit Engobe, also dünnflüssigen farbigen Tonmineralmassen. „Er hat mit Diamant in der fertig gebrannten Glasur gezeichnet, dann Farbe eingerieben und das Ganze nochmals gebrannt. Diamantriss nannte er das.“ Sein Können blieb nicht verborgen und so wurde er 1994 in die künstlerischen Werkstätten der Manufaktur berufen, zwischen 1998 und 2002 konnte er zudem insgesamt vier Semester an der Dresdner Kunsthochschule studieren.

Museumsleiterin Martina Fischer öffnet die Tür zum Depot. Sie hat Bilder von Wilhelm Hänsch hingestellt, insgesamt zehn besitzt das Museum. Wolfram Hänsch hat sie als Schenkung überlassen. Nirgends ist impressionistisches Lichtfleckengeflimmer. Die Bilder sind in gedeckten Farben gemalt, manchmal fast ein wenig düster. Selbst der Fliederstrauß kommt im Wesentlichen mit Blau und Grün aus, die „Stadt am Fluss“ mit einer grau-violetten Farbpalette. Und dennoch kann man förmlich in das Bild hineingehen, sagt Wolfram Hänsch.

Wenn das Dresdner Kupferstichkabinett Arbeiten eines Fotografen aufnimmt, dann ist das so etwas wie der Ritterschlag. Von Wilhelm Hänsch besitzt es 30. „In seiner Fotografie zeigt sich das ganze Lebensgefühl der späten DDR.“ Wenn er etwa Punks und Skins fotografierte, dann suchte er nicht die Typen, sondern die Personen dahinter, die Persönlichkeiten. „Er hat sich sehr gehütet vor dem Effekt, davor, unnütz interessant zu sein.“

Spätestens 2011 ist kein Platz mehr für Wilhelm Hänsch in der Manufaktur. Der neue Direktor ist Manager, er könnte genauso gut eine Fabrik für Schuhe oder für Dübel leiten. Systematisch wird das Humankapital des Staatsbetriebes abgebaut. Ab 2011 arbeitet Wilhelm Hänsch freischaffend als Maler und Zeichner – wie so viele andere ehemalige Manufakturisten. „Durch die Arbeit in der Manufaktur hatte er eine Art Disziplin angenommen“, erzählt der Vater. „Die Arbeit mit dem Porzellan hat ihn gestärkt.“

Am 24. Oktober 2014 geht Wolfram Hänsch von seinem Atelier auf den Schlossstufen auf Kurzbesuch zu seinem Sohn Wilhelm. Er liebt die Gespräche mit ihm über Gott und die Welt, vor allem aber über die Kunst. „Und dann fand ich ihn, er war bewusstlos.“ Wilhelm Hänsch litt unter Diabetis. „Er war völlig unterzuckert, man hat ihn nicht wieder ins Bewusstsein zurückbekommen.“

In gewisser Weise war das Faltblatt zur Ausstellung in der Verwaltungsschule Wolfram Hänschs ein Nachruf an seinen Sohn: „Es hat ihn fasziniert, beobachtend zu erleben, wie selbstverständlich Leben sich im Unbegrenzten entfaltet.“