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Land unter in Dittersbach

Seit 2011 sind die Anwohner am Kalten Bach in Dürrröhrsdorf-Dittersbach viermal abgesoffen. Getan hat sich nichts.

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© Marko Förster

Von Dirk Schulze

Dürrröhrsdorf-Dittersbach. Frank Ullrich kärchert den grünen Skoda Fabia. Der Gutachter war gerade da. Für die Versicherung ist es ein wirtschaftlicher Totalschaden. Das Auto stand in der Garage, als die Welle kam – und dann einen knappen halben Meter in der braunen Brühe, so wie das komplette Erdgeschoss seines Hauses in Dittersbach. Vor dem Gartenzaun stapelt sich das, was nicht mehr zu retten ist: Möbelstücke, Schuhe, ein Fernseher. Vor fast jedem Grundstück entlang der Hauptstraße in Dittersbach, dem nördlichen Ortsteil von Dürrröhrsdorf-Dittersbach, ist so ein Haufen aufgeschichtet.

Einen knappen Meter stand das Wasser am Haus von Frank und Antje Ullrich, es lief über die Schotten.
Einen knappen Meter stand das Wasser am Haus von Frank und Antje Ullrich, es lief über die Schotten. © Dirk Schulze
Sperrmüllhaufen an der Hauptstraße nach dem Hochwasser.
Sperrmüllhaufen an der Hauptstraße nach dem Hochwasser. © Dirk Zschiedrich

Die Anwohner entlang des Kalten Baches, der ein paar Hundert Meter weiter in die Wesenitz mündet, sind während des Unwetters am vergangenen Wochenende von einer verheerenden Überschwemmung heimgesucht worden. Fast alle Grundstücke entlang des Bachlaufs standen unter Wasser. Als die Feuerwehr gegen 1.15 Uhr in der Nacht anrückte, mussten sich die Kameraden erst einmal wieder zurückziehen, weil ihnen die Wassermassen so massiv entgegenströmten.

Das Problem: Es ist nicht das erste Mal. Viermal stand das Haus von Familie Ullrich komplett im Wasser – innerhalb der letzten fünf Jahre. Wie oft der Garten überschwemmt wurde, haben sie aufgehört zu zählen, mindestens zwei-, dreimal im Jahr. „Das ist extrem“, sagt Frank Ullrich. „Das hört nicht auf, es kommt immer wieder.“ Mittlerweile schlafe er unruhig. Den Nachbarn geht es nicht anders.

Am vergangenen Sonntag kam es besonders schlimm. Nach der ersten Überschwemmung 2011 hat Frank Ullrich extra Schotten vor der Haustür und dem danebenliegenden Garagentor installiert. Links und rechts Metallschienen, in die von oben kräftige Holzplatten eingeschoben werden. Bis in eine Höhe von etwa 80 Zentimetern halten sie das Wasser zurück. Doch das reichte am Sonntag nicht. Der Spitzenpegel lag gut 15 Zentimeter darüber. Wieder schwappte alles ins Haus: Tiefkühltruhe, Waschmaschine, Trockner – alles hinüber. In einer Senke auf den Feldern oberhalb von Dittersbach war ein Wall gebrochen, hinter dem sich der Regen staute. Zusätzlich zum Hochwasser des Kalten Bachs löste das eine richtige Flutwelle aus.

Im Oktober 2015 haben sich die Anwohner zusammengetan und Unterschriften gesammelt, damit sich endlich etwas tut. Mit über hundert Namen auf der Liste tauchten sie im Rathaus auf. Sie fordern ein Rückhaltesystem für den Kalten Bach und seine seitlichen Zuflüsse. Seitens der Gemeinde hieß es, es sehe schlecht aus mit Fördermitteln für den Kalten Bach. Die Verwaltung ist noch immer mit der Planung von Rückhaltebecken für den Stürzabach beschäftigt, der 2010 Stürza und Dürrröhrsdorf überflutete. Für den Kalten Bach in Dittersbach sind aktuell 10 000 Euro eingeplant. Ein Ingenieurbüro soll damit ein Konzept erarbeiten, doch selbst das war bis vergangene Woche noch nicht beauftragt. Das können die Anwohner nicht nachvollziehen. „Hier hängt es massiv an der Gemeinde“, sagt Frank Ullrich.

Landwirte heben die Hände

Daneben machen die Betroffenen vor allem die Landwirtschaft für die sich ständig wiederholenden Überflutungen verantwortlich. Sämtliche Feldraine hätte die Agrargenossenschaft entfernt, aus wirtschaftlichen Gründen. Das Einzugsgebiet des Wassers reiche vom Forschungszentrum Rossendorf entlang der Bundesstraße B 6 bis zur alten Bahnlinie, so die Anwohner. Der Regen spüle die Erde von den abschüssigen Feldern mitsamt der halben Ernte. Tatsächlich landen dicke Schlammpackungen mit Mais und Wintergerste in den Gärten.

Die Felder oberhalb von Dittersbach gehören zur Agrargenossenschaft Wesenitztal. Deren Chef, Michael Steglich, sagt, er würde den Anteil, den die Feldstruktur an den Hochwassern habe, nicht sonderlich hoch ansetzen. Die Feldraine seien bereits in den Siebzigerjahren verschwunden, seit 40 Jahren werde in der jetzigen Form gewirtschaftet. Seit er vor vier Jahren die Leitung der Agrargenossenschaft übernommen hat, habe sich daran nichts Wesentliches verändert.

Es geht um 500 Hektar Land. Wenn dort auf den Quadratmeter 70 Liter Regen herunterkommen – so wie letztes Wochenende –, würde auch ein Feldrain nichts nützen. „Das halten wir nicht mit irgendwelchen Grünstreifen auf“, sagt Steglich. Er könne auch nicht irgendwo einen Damm aufschütten, dann sei beim nächsten Mal ein anderer Einwohner betroffen. „Da müssen Experten ran“, sagt Steglich. „Wir brauchen ein richtiges Hochwasser-Konzept.“

Darum soll sich endlich ein Ingenieurbüro kümmern. Dürrröhrsdorfs Bürgermeister Jens-Ole Timmermann (Unabhängige Bürger) hat diese Woche mit drei Büros Kontakt aufgenommen. Sobald die Angebote da sind, will er den Auftrag erteilen. Woher das Geld für die Umsetzung kommen soll, weiß er allerdings noch nicht.

Am Mittwoch hat das Technische Hilfswerk den weggespülten Damm auf den Feldern provisorisch mit Sandsäcken ersetzt. Als kurzfristige Maßnahme soll der Kalte Bach demnächst ausgebaggert werden.

Für Sonnabend, 2. Juli, hat Bürgermeister Jens-Ole Timmermann eine Einwohnerversammlung zum Hochwasser und dessen Bewältigung angesetzt. Beginn ist um 10 Uhr im Orts- und Vereinszentrum Dürrröhrsdorf.