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Kulturpalast-Architekt feiert 100. Geburtstag

Leopold Wiel eckte lieber an, als einzuknicken. Er verfolgt Dresdens Entwicklung kritisch wie eh und je.

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© Archiv Prof. Wiel

Von Bettina Klemm

Geistig rege bleiben und regelmäßige Gartenarbeit. Das hält Leopold Wiel fit. Am Sonnabend wird der Architekt und Hochschullehrer 100 Jahre alt. Das mag kaum einer glauben, der den schlanken und hochgewachsenen Mann beim Schneiden der Hecken an seinem Wohnhaus auf dem Weißen Hirsch oder bei den täglichen Spaziergängen sieht.

Leopold Wiel heute
Leopold Wiel heute © privat

„Häuser schauen“ wie es seine Frau Christa nennt, gehöre noch heute zum Alltag. Die 82-jährige einstige Architektin ist seit 61 Jahren mit Leopold Wiel verheiratet. Beide haben zwei Söhne und eine Tochter. Aus erster Ehe hat er noch einen weiteren Sohn. Am Sonnabend kommen nicht nur die Kinder und Enkel zum Gratulieren, sondern auch viele seiner früheren Schüler und Weggefährten.

Professor Wiel war für Generationen von Architekturstudenten und Bauingenieuren seit 1948 in Weimar und seit 1951 in Dresden ein Vorbild, aber auch immer ein guter Gesprächspartner. „Ich habe nie nur kritisiert, sondern immer auch einen Änderungsvorschlag unterbreitet“, sagt er rückblickend. In seinem Bücherschrank stehen etwa zwei Dutzend Bücher, in denen Wiel Kopien seiner Entwürfe, Briefe, Dokumente, eigene Notizen und Zeitungsveröffentlichungen eingeklebt hat. Auf dem Tisch liegen zwei Beiträge aus der Sächsischen Zeitung zum geplanten Wiederaufbau des Narrenhäusels an der Augustusbrücke. Gut findet Wiel diese Pläne jedoch nicht. Der Architekturprofessor hat verfügt, dass sein persönliches Archiv der Nachwelt als Ganzes erhalten bleiben soll. Neben den „Tagebüchern“ stehen alle Ausgaben des Lehrbuchs für „Baukonstruktion des Wohnungsbaus“. Es erschien 1954 zum ersten Mal, erfuhr mehr als ein Dutzend Neuauflagen und wurde zum Lehrbuch für Generationen.

„Ein guter und anregender Gesprächspartner ist Leopold Wiel bis heute“, erzählt Manfred Zumpe, ebenfalls Architektur-Professor im Ruhestand. Wiel sei immer seinen Überzeugungen treu geblieben und habe sie furchtlos verteidigt gegen die Barrieren seiner Widersacher, gegen Heuchelei und Mittelmaß. Dazu zählten seine Ablehnung der nur in der DDR gültigen TGL-Vorschriften und sein Einsatz für den Erhalt der DIN-Angaben. 1963 wandte sich Wiel gegen die Pläne, ein alles überragendes Hochhaus an der Prager Straße zu bauen. In den 1970er-Jahren lehnte er die überall gleich aussehende Wohnungsbauserie WBS 70 ab und plädierte für eigene Entwicklungen und damit auch mehr Vielfalt.

Gegenwärtig verfolgen Wiel und Zumpe mit großer Aufmerksamkeit die Sanierung und den Umbau des Dresdner Kulturpalasts. Als die Stadt 1959 den Wettbewerb für dieses Gebäude ausgelobt hatte, forderte sie ein Turmbauwerk. Diese „Höhendominante“ sollte zugleich die Überlegenheit des Sozialismus bekunden. Doch Wiel, damals Professor für Werklehre, Baukonstruktionslehre, Wohnungsbau und Entwerfen an der Technischen Hochschule Dresden, hatte sich als Einziger der 29 Teilnehmer am Wettbewerb nicht an die Vorgaben gehalten. Er schlug gemeinsam mit seinen engsten Mitarbeitern einen viergeschossigen, breit gelagerten und völlig in Glas aufgelösten Baukörper vor. Statt des geforderten Turmes sollte ihn eine elegante Kuppelschale krönen. „Oh, wie schwer wurden wir kritisiert, das sei ideologisch völlig falsch“, erzählt Wiel. Er hatte im Jahr zuvor an einem internationalen Architekturkongress in Moskau teilgenommen, bei dem es um eine fortschrittliche, moderne Architektur ging. „Ich habe da schon einen neuen Geist in der Architektur erlebt und verstand die Haltung des Preisgerichts nicht.“ Wie muss sich der Professor gewundert haben, als ein gutes Jahr später der Sekretär der SED-Stadtleitung an seiner Wohnungstür klingelte. „Ich bitte um Abbitte, hatte er gesagt und gefragt, ob ich bereit bin, meinen Entwurf zu überarbeiten und dabei allerdings auch neue Raumkonzepte und Kostenvorgaben zu beachten“, erzählt Wiel. Er habe nicht Nein gesagt und schon wenige Tage später die Entwürfe geliefert.

Später bezeichnete es Wiel als einen Glücksfall, dass der damals junge, hochbegabte Architekt Wolfgang Hänsch mit der weiteren Planung des Kulturpalasts beauftragt worden war. Während der Bauzeit stand er Hänsch als Mentor und Berater zur Seite. Der Kulturpalast wurde gelobt und gilt als Durchbruch zur Moderne in Dresden. Zweifelsohne sei der Kulturpalast in die Jahre gekommen und muss saniert werden. Doch Wiel warnte vor vier Jahren in einem Brief an die damalige Oberbürgermeisterin vor den Folgen des Ausbaus und damit der Zerstörung des Mehrzwecksaals.

Wiel wurde während des Ersten Weltkriegs geboren. Im Zweiten diente er und wurde bei Stalingrad verwundet. „Dresden habe ich ein paar Tage vor den Bombenangriffen bei einem Heimaturlaub gesehen“, erzählt Wiel. Nach dem Krieg arbeitete er als Architekt in Weimar, entwarf in dieser Zeit Gebäude für den Wiederaufbau des Marktes. Ab 1948 bis zu seiner Berufung an die Technische Hochschule Dresden 1951 war er in Weimar Hochschullehrer.

Auch wenn Wiel ein Vertreter der Moderne ist, setzte er sich für den Erhalt und die Rekonstruktion historischer Bauten in der Stadt, wie dem Blockhaus, dem Gewandhaus und dem Taschenbergpalais ein. Gemeinsam mit dem Denkmalpfleger Hans Nadler hat er so viele Abrisse verhindert. Nicht möglich war ihm dies bei der Sophienkirche. 1958 stimmte er als einziges Mitglied einer 24-köpfigen Kommission „Aufbau Zentrum Dresden“ gegen den Abbruch. An all dies wird zum Geburtstag erinnert. Vielleicht im Garten, denn der gibt Wiel Kraft. 1962 habe er sich entscheiden müssen, einen Wartburg oder einen Garten zu kaufen. Wiel hat sich für den Platz für die Familie entschieden, ein eigenes Auto hat er nie besessen.